Viele Autohändler stehen vor einem Dilemma. Die Nachfrage nach elektrischen Fahrzeugen ist mit dem Wegfall der Förderung eingebrochen und so stehen viele Stromer wie Blei in den Verkaufsräumen. Viele Händler ziehen jetzt die Notbremse und wollen keine gebrauchten Modelle mehr in Zahlung nehmen. Die Hersteller reagieren höchst unterschiedlich.
Es ist schon lange kein Geheimnis mehr, dass der Absatz von Elektroautos stockt – und wie. Wenn die Stromer verkauft werden, dann oftmals mit schmerzhaften Verlusten. Jetzt schafft eine Umfrage des Fachmagazins »kfz-betrieb« und Vogel Research Klarheit: 68,7 Prozent und damit mehr als zwei Drittel der Autohändler nehmen keine gebrauchten BEVs in Zahlung. Für 51,1 Prozent der Befragten sind gebrauchte Elektroautos derzeit gar „so gut wie unverkäuflich.“ Alarmstufe Rot, wenn man mit Autos Geld verdienen will. Die Konsequenz ist klar: Um diese Fahrzeuge überhaupt vom Hof zu bekommen, müssen die Verkäufer satte Rabatte gewähren. Im Schnitt sind es 27 Prozent vom ursprünglich geplanten Verkaufspreis. Man muss kein Wirtschaftswissenschaftler sein, um zu realisieren, dass dieses Geschäftsmodell nicht lange funktionieren kann. Schlüsselt man die Umfrageergebnisse weiter auf, geben im Juni 2024 exakt 80,2 Prozent der Händler an, beim Verkauf von gebrauchten BEVs rote Zahlen zu schreiben. 61,1 Prozent der Autohäuser geben an, „hohe Verluste“ zu machen und immerhin 19,1 Prozent sprechen von „leichten Verlusten“.
„Aus Sicht des Handels sind gebrauchte BEV daher keine allzu attraktive Ware. Gute Autos sind nur gute Autos, wenn sie sich gut verkaufen“, stellt die Deutsche Automobil Treuhand (DAT) auf Anfrage fest. Allerdings lassen sich dabei nicht alle Stromer über einen Kamm scheren. Zwar wächst das Interesse. Allerdings nur bei den „jungen“ BEVs, die nicht älter als ein Jahr sind. Das sind schlechte Nachrichten für die Besitzer von Leasing-Rückläufern, die oft zwei bis drei Jahre auf dem Buckel haben. „Insgesamt lassen aber vor allem die momentan noch hohen Preise und die „Angst“, eine veraltete Technologie zu erwerben, die Endverbraucher zögern“, heißt es im DAT-Report vom Juni und weiter: „Wenn in der Autobranche über Gebrauchtwagen gesprochen wird, dann blickt man zunehmend auch auf BEV. Als konkrete Kaufoption sind diese aus Sicht der Endverbraucher allerdings noch weniger attraktiv, was man auch an den geringen KBA-Stückzahlen sieht.“
Für Philipp Seidel, Automobilexperte bei der Unternehmensberatung Arthur D. Little, ist das kein ungewöhnliches Phänomen: „Meines Erachtens sind die gebrauchten Elektrofahrzeuge der ersten Generationen gerade auf dem Gebrauchtmarkt die Opfer der schnellen Technologieentwicklung.“ Das seien die Gesetze des Marktes. „Vor kurzem waren gebrauchte Teslas noch so teuer wie neue, weil neue lange Lieferzeiten hatten. Aktuell haben wir wieder eher Überkapazitäten, also sinken die Gebrauchtwagen- und Restwerte. Der normale Zyklus“, beruhigt Seidel. Auf lange Sicht zählt für Seidel die positive Entwicklung, dass die Kernkomponenten eines Elektroautos, wie etwa die Batterie, immer günstiger werden.
Das ändert nichts am Status quo. Wer einen gebrauchten Stromer sein Eigen nennt, hat in der Regel Schwierigkeiten, diesen an einen Händler zu verkaufen. Letztendlich ist das auch für die Autobauer keine wünschenswerte Situation. Jedes Auto, das vom Erstbesitzer länger als geplant gefahren wird, ist ein Neuwagen weniger, der verkauft wird. Fragt man bei den Autobauern nach, geben die deutschen OEMs unisono an, dass der Händler ein freier Unternehmer sei, der an keine Weisungen seitens des Herstellers gebunden ist. Lediglich der Stellantis-Konzern reagierte nicht. BMW unterstützt seine Händler: „Wir haben aber bereits eine Qualifizierungsoffensive im Gebrauchtwagenverkauf des Handels gestartet, mit Fokus auf BEVs, um unsere Händler für die ansteigende Anzahl von Rückläufern und deren Wiedervermarktung zu befähigen. Diese Trainings werden aktuell stark nachgefragt“, erklärt ein Sprecher. Auch Audi forciert die Schulungsmaßnahmen.
An der schwierigen Situation der Autohändler ändert das grundsätzlich nichts. Wenn die Automobilhersteller die Händler im Regen stehen lassen, bricht das BEV-Gebrauchtwagengeschäft bald massiv ein. Mercedes ist von der Qualität seiner Produkte überzeugt und gibt deshalb auf ausgewählte Modelle fünf Jahre Garantie. Bei Porsche ist man vom 911er ohnehin gewöhnt, dass Gebrauchtwagen gerne genommen werden. Also greift man auch in Zuffenhausen auf bewährte Verkaufsinstrumente wie die „Approved Garantie“ zurück. Ob das ausreicht, um die Wiederverkäufe bei Elektroautos anzukurbeln, wird sich zeigen. Bei VW hat man die Zeichen der Zeit erkannt und versucht gegenzusteuern. „Über das Vehicle Lifetime Modell werden die Volkswagen Financial Services zukünftig E-Fahrzeuge möglichst lange im eigenen Portfolio halten, um Kunden ein attraktives Gebrauchtwagenleasing anzubieten“, lässt der niedersächsische Autobauer verlauten.
Für Philipp Seidel gibt es keine Zweifel: „Gebrauchte EV werden nicht zum Elektroschrott. Ja, wir müssen damit rechnen, dass die E-Fahrzeuge der ersten Generation einen kürzeren Lebenszyklus haben werden als klassische, etablierte Verbrenner. Das waren erste Gehversuche der Hersteller in einem neuen Umfeld. Das ist aber kein Problem der E-Mobilität an sich, sondern ist der Einführung jeder neuen Technologie inhärent. Der Restwert wird nach unten schon durch den hohen Wert der Batterie begrenzt. Jetzt folgen andere Marktphasen, die anders geprägt sein werden. Wer sich als Autohändler und Vertragshändler der großen Marken der E-Mobilität verweigert, wird es schwer haben."
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