Bei der Elektromobilität sind Schmierstoffe genauso wichtig wie bisher. Sie verlängern das Leben der Komponenten, erhöhen die Effizienz und tragen damit zur Reichweitenverlängerung bei. Aufgrund der Elektrizität müssen die Chemiker aber neue Wege beschreiten.
Ein gutes Jahrhundert lang war die Sache für automobile Schmiermittelhersteller klar. Es gab den Verbrennungsmotor, dann das Getriebe und dazu noch ein paar Lager, die geschmeidig gehalten werden mussten. Im Laufe der Zeit wurden die Antriebe leistungsstärker und die Laufzeiten der Fahrzeuge immer länger. Also mussten auch die Schmierstoffe mehr können, deswegen entwickelte man diese immer weiter und forschte nach Additiven, die diese Aufgaben bewältigen.
Doch mittlerweile ist die Schmierstoffwelt ein Stück weit aus den Fugen geraten. Die globale politische und wirtschaftliche Lage wird immer instabiler, Lieferketten reißen ab, Nachhaltigkeit und die Elektromobilität bestimmen die Mobilität der Zukunft. Das stellt auch die Ölproduzenten vor neue Herausforderungen. Die liegen schon in der Natur der Sache begründet. „Ein klassisches Öl, das auf Kohlenwasserstoffen basiert, ist kein guter Wärmespeicher. Der beste Wärmespeicher, den wir kennen, ist Wasser. Aber das ist bei der Elektromobilität nicht ganz so einfach“, erklärt Dr. Dirk Schwäbisch, Leiter Automotive Schmierstoffe bei Petronas. Eine mögliche Lösung für dieses Problem sind Ester-Verbindungen, also elektrische Fluide, deren Moleküle sowohl Kohlenwasserstoffe als auch Sauerstoff enthalten.
Dieser Zielkonflikt bekommt noch eine weitere Dimension, sobald man sich vor Augen führt, dass in Zukunft, anders als jetzt, die E-Maschinen auch innen „nass“ sein werden. Aktuellen Planungen zufolge sollen solche Motoren bei VWs weiterentwickelten MEB-Baukasten und bei der SSP-Architektur (Scalable Systems Platform) zum Einsatz kommen. Die Energiedichten dieser Elektromotoren nehmen zu, also müssen die Rotoren von innen gekühlt werden. Sonst wird der Motor zu heiß. Über 100 Grad entmagnetisieren sich die Magnete und verlieren Leistung. Das bringt die Chemiker der Betriebsstofflieferanten in eine Zwickmühle. Wasser kühlt hervorragend, Flüssigkeiten mit Kohlenwasserstoff-Molekülen schmieren gut, sind aber als Wärmeleiter nicht perfekt geeignet. „Also sucht man Moleküle, die irgendwo dazwischenliegen. Die eine Polarität ähnlich der des Wassers aufweisen und den elektrischen Widerstand des Kohlenwasserstoffs“, verdeutlicht Dirk Schwäbisch den Balanceakt der Schmierstoff-Tüftler und gibt schon einen Ausblick auf die Entwicklungsrichtung: „Es werden niederviskose Öle sein, um die elektrischen Komponenten des E-Motors zu kühlen und gleichzeitig das Schmieren der Getriebekomponenten gewährleisten.“
Als wenn diese Herausforderung nicht schon groß genug wäre, werden die Antriebseinheiten immer kompakter und Inverter, Motor und Getriebe in einer Einheit zusammengefasst, die alle gekühlt beziehungsweise geschmiert werden müssen. Das erhöht die Leistung, somit auch Effizienz und letztendlich auch die Reichweite. Eine Flüssigkeit, diese drei Elemente kühlt, muss per se schon sehr viel können. Zumal mit dem Anwachsen der Leistung und dem immer geringer vorhandenen Bauraum die Wärmeentwicklung noch mehr ansteigt als ohnehin schon. Um diese drei Komponenten unter einen Hut zu bringen, tüfteln die Techniker an sogenannten Drei-in-Eins-Ölen.
Da es in Zukunft die E-Maschinen auch mit mehrstufigen Getrieben kombiniert werden, macht die Aufgabe nicht leichter. Diese Bauteile, wie zum Beispiel Reibelemente oder eine Klauenkupplung, erhöhen die Effizienz des Antriebs, aber man braucht eben das geeignete Öl, um diese neuen Komponenten ebenfalls zu schmieren. Hier lohnt ein Blick in die Vergangenheit. Die Öle für Handschaltgetriebe haben einen hohen Schwefelanteil, um die Zahnräder zu schützen. Allerdings bestehen die elektrischen Komponenten der E-Maschine und im Inverter oft aus Kupfer und das reagiert mit Schwefel. „Da rollen sich bei einem Chemiker die Zehennägel hoch“, schmunzelt Dirk Schwäbisch mit einer gehörigen Portion Galgenhumor.
Die Aufgabe, die sich den Technikern also zusätzlich noch stellt, ist abzuwiegen, wie viel Kupfer und wie viel Zahnradschutz man braucht, um dann die optimalen Eigenschaften des Öls zu finden. Also werden Flüssigkeiten entwickelt, um schwefelfrei zu werden und trotzdem einen Zahnradschutz zu gewährleisten. Eine Lösung dürften optimierte Phosphorkomponenten darstellen, die schon bisher diesen Verschleißschutz zu gewährleistet haben. „Das hohe Drehmoment der Elektromotoren generiert beim Beschleunigen viel Druck auf die Oberflächen der Zahnräder. Da wir niederviskose Öle nutzen, ist der Schutzfilm ziemlich dünn, also brauchen wir spezielle Additive, um das diesen Film stabil zu halten und so die Oberflächen chemisch zu schützen“, sagt Dirk Schwäbisch.
Die Entwicklung der Öle und Schmierstoffe läuft im Grundsatz nach bewährtem Muster ab. Man berechnet die Viskosität, stellt diese im Labor nach. Dann wird das Öl in Versuchen, die den tatsächlichen Einsatzzweck möglichst genau nachbilden, auf die Belastungsprobe gestellt. Denn bestenfalls soll das Elektroauto sein Leben lang (etwa 250.000 Kilometer) mit einer Füllung auskommen. In China gibt es allerdings schon E-Fahrzeuge, bei denen alle 20.000 Kilometer das Öl gewechselt werden muss. Auch hier gilt es einen Kompromiss zu finden. Um das Gewicht zu reduzieren, wird möglichst wenig Öl eingefüllt. Das erhöht allerdings den thermischen Stress des Schmierstoffs.
Die Öle der Zukunft werden aufgrund der Additive weiterhin goldgelb, aber vermutlich auch teurer sein als bisher, da diese Vielkönner-Flüssigkeiten mehr und hochwertigere Zusatzstoffe brauchen, um ihre Aufgabe zuverlässig zu erfüllen. Zudem muss der Herstellungsprozess dieser Öle fast schon klinisch rein sein. Natürlich versucht auch die Schmierstoff-Industrie klimaneutral zu werden. Also werden gebrauchte fossile Öle aufdistilliert und als Grund-Öl wiederverwendet. Natürlich kann Öl auch aus Plastik gewonnen werden. Eine weitere Alternative sind biogene Ausgangsstoffe, die aus Pflanzen wie etwa Algen generiert werden. Ähnlich wie das bei Bio-Treibstoffen der Fall ist. „Schmierstoffe werden den Übergang zu einer nachhaltigen Mobilität durch eine effizientere Nutzung der Energie und des Antriebsstrangs unterstützen.“, fasst James Mark, Chef der NEV-Schmiermittel-Abteilung bei Petronas zusammen.
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