Technik: So helfen Schmierstoffe der Zukunft der Elektromobilität

Balanceakt

Technik: So helfen Schmierstoffe der Zukunft der Elektromobilität: Balanceakt
Erstellt am 6. November 2023

Bei der Elektromobilität sind Schmierstoffe genauso wichtig wie bisher.‭ ‬Sie verlängern das Leben der Komponenten,‭ ‬erhöhen die Effizienz und tragen damit zur Reichweitenverlängerung bei.‭ ‬Aufgrund der Elektrizität müssen die Chemiker aber neue Wege beschreiten.

Ein gutes Jahrhundert lang war die Sache für automobile Schmiermittelhersteller klar.‭ ‬Es gab den Verbrennungsmotor,‭ ‬dann das Getriebe und dazu noch ein paar Lager,‭ ‬die geschmeidig gehalten werden mussten.‭ ‬Im Laufe der Zeit wurden die Antriebe leistungsstärker und die Laufzeiten der Fahrzeuge immer länger.‭ ‬Also mussten auch die Schmierstoffe mehr können,‭ ‬deswegen entwickelte man diese immer weiter und forschte nach Additiven,‭ ‬die diese Aufgaben bewältigen.

Doch mittlerweile ist die Schmierstoffwelt ein Stück weit aus den Fugen geraten.‭ ‬Die globale politische und wirtschaftliche Lage wird immer instabiler,‭ ‬Lieferketten reißen ab,‭ ‬Nachhaltigkeit und die Elektromobilität bestimmen die Mobilität der Zukunft.‭ ‬Das stellt auch die Ölproduzenten vor neue Herausforderungen.‭ ‬Die liegen schon in der Natur der Sache begründet.‭ „‬Ein klassisches Öl,‭ ‬das auf Kohlenwasserstoffen basiert,‭ ‬ist kein guter Wärmespeicher.‭ ‬Der beste Wärmespeicher,‭ ‬den wir kennen,‭ ‬ist Wasser.‭ ‬Aber das ist bei der Elektromobilität nicht ganz so einfach‭“‬,‭ ‬erklärt Dr.‭ ‬Dirk Schwäbisch,‭ ‬Leiter Automotive Schmierstoffe bei Petronas.‭ ‬Eine mögliche Lösung für dieses Problem sind Ester-Verbindungen,‭ ‬also elektrische Fluide,‭ ‬deren Moleküle sowohl Kohlenwasserstoffe als auch Sauerstoff enthalten.

Dieser Zielkonflikt bekommt noch eine weitere Dimension,‭ ‬sobald man sich vor Augen führt,‭ ‬dass in Zukunft,‭ ‬anders als jetzt,‭ ‬die E-Maschinen auch innen‭ „‬nass‭“ ‬sein werden.‭ ‬Aktuellen Planungen zufolge sollen solche Motoren bei VWs weiterentwickelten MEB-Baukasten und bei der SSP-Architektur‭ (‬Scalable Systems Platform‭) ‬zum Einsatz kommen.‭ ‬Die Energiedichten dieser Elektromotoren nehmen zu,‭ ‬also müssen die Rotoren von innen gekühlt werden.‭ ‬Sonst wird der Motor zu heiß.‭ ‬Über‭ ‬100‭ ‬Grad entmagnetisieren sich die Magnete und verlieren Leistung.‭ ‬Das bringt die Chemiker der Betriebsstofflieferanten in eine Zwickmühle.‭ ‬Wasser kühlt hervorragend,‭ ‬Flüssigkeiten mit Kohlenwasserstoff-Molekülen schmieren gut,‭ ‬sind aber als Wärmeleiter nicht perfekt geeignet.‭ „‬Also sucht man Moleküle,‭ ‬die irgendwo dazwischenliegen.‭ ‬Die eine Polarität ähnlich der des Wassers aufweisen und den elektrischen Widerstand des Kohlenwasserstoffs‭“‬,‭ ‬verdeutlicht Dirk Schwäbisch den Balanceakt der Schmierstoff-Tüftler und gibt schon einen Ausblick auf die Entwicklungsrichtung:‭ „‬Es werden niederviskose Öle sein,‭ ‬um die elektrischen Komponenten des E-Motors zu kühlen und gleichzeitig das Schmieren der Getriebekomponenten gewährleisten.‭“

Als wenn diese Herausforderung nicht schon groß genug wäre,‭ ‬werden die Antriebseinheiten immer kompakter und Inverter,‭ ‬Motor und Getriebe in einer Einheit zusammengefasst,‭ ‬die alle gekühlt beziehungsweise geschmiert werden müssen.‭ ‬Das erhöht die Leistung,‭ ‬somit auch Effizienz und letztendlich auch die Reichweite.‭ ‬Eine Flüssigkeit,‭ ‬diese drei Elemente kühlt,‭ ‬muss per se schon sehr viel können.‭ ‬Zumal mit dem Anwachsen der Leistung und dem immer geringer vorhandenen Bauraum die Wärmeentwicklung noch mehr ansteigt als ohnehin schon.‭ ‬Um diese drei Komponenten unter einen Hut zu bringen,‭ ‬tüfteln die Techniker an sogenannten Drei-in-Eins-Ölen.‭

Da es in Zukunft die E-Maschinen auch mit mehrstufigen Getrieben kombiniert werden,‭ ‬macht die Aufgabe nicht leichter.‭ ‬Diese Bauteile,‭ ‬wie zum Beispiel Reibelemente oder eine Klauenkupplung,‭ ‬erhöhen die Effizienz des Antriebs,‭ ‬aber man braucht eben das geeignete Öl,‭ ‬um diese neuen Komponenten ebenfalls zu schmieren.‭ ‬Hier lohnt ein Blick in die Vergangenheit.‭ ‬Die Öle für Handschaltgetriebe haben einen hohen Schwefelanteil,‭ ‬um die Zahnräder zu schützen.‭ ‬Allerdings bestehen die elektrischen Komponenten der E-Maschine und im Inverter oft aus Kupfer und das reagiert mit Schwefel.‭ „‬Da rollen sich bei einem Chemiker die Zehennägel hoch‭“‬,‭ ‬schmunzelt Dirk Schwäbisch mit einer gehörigen Portion Galgenhumor.

Die Aufgabe,‭ ‬die sich den Technikern also zusätzlich noch stellt,‭ ‬ist abzuwiegen,‭ ‬wie viel Kupfer und wie viel Zahnradschutz man braucht,‭ ‬um dann die optimalen Eigenschaften des Öls zu finden.‭ ‬Also werden Flüssigkeiten entwickelt,‭ ‬um schwefelfrei zu werden und trotzdem einen Zahnradschutz zu gewährleisten.‭ ‬Eine Lösung dürften optimierte Phosphorkomponenten darstellen,‭ ‬die schon bisher diesen Verschleißschutz zu gewährleistet haben.‭ „‬Das hohe Drehmoment der Elektromotoren generiert beim Beschleunigen viel Druck auf die Oberflächen der Zahnräder.‭ ‬Da wir niederviskose Öle nutzen,‭ ‬ist der Schutzfilm ziemlich dünn,‭ ‬also brauchen wir spezielle Additive,‭ ‬um das diesen Film stabil zu halten und so die Oberflächen chemisch zu schützen‭“‬,‭ ‬sagt Dirk Schwäbisch.

Die Entwicklung der Öle und Schmierstoffe läuft im Grundsatz nach bewährtem Muster ab.‭ ‬Man berechnet die Viskosität,‭ ‬stellt diese im Labor nach.‭ ‬Dann wird das Öl in Versuchen,‭ ‬die den tatsächlichen Einsatzzweck möglichst genau nachbilden,‭ ‬auf die Belastungsprobe gestellt.‭ ‬Denn bestenfalls soll das Elektroauto sein Leben lang‭ (‬etwa‭ ‬250.000‭ ‬Kilometer‭) ‬mit einer Füllung auskommen.‭ ‬In China gibt es allerdings schon E-Fahrzeuge,‭ ‬bei denen alle‭ ‬20.000‭ ‬Kilometer das Öl gewechselt werden muss.‭ ‬Auch hier gilt es einen Kompromiss zu finden.‭ ‬Um das Gewicht zu reduzieren,‭ ‬wird möglichst wenig Öl eingefüllt.‭ ‬Das erhöht allerdings den thermischen Stress des Schmierstoffs.

 

Die Öle der Zukunft werden aufgrund der Additive weiterhin goldgelb,‭ ‬aber vermutlich auch teurer sein als bisher,‭ ‬da diese Vielkönner-Flüssigkeiten mehr und hochwertigere Zusatzstoffe brauchen,‭ ‬um ihre Aufgabe zuverlässig zu erfüllen.‭ ‬Zudem muss der Herstellungsprozess dieser Öle fast schon klinisch rein sein.‭ ‬Natürlich versucht auch die Schmierstoff-Industrie klimaneutral zu werden.‭ ‬Also werden gebrauchte fossile Öle aufdistilliert und als Grund-Öl wiederverwendet.‭ ‬Natürlich kann Öl auch aus Plastik gewonnen werden.‭ ‬Eine weitere Alternative sind biogene Ausgangsstoffe,‭ ‬die aus Pflanzen wie etwa Algen generiert werden.‭ ‬Ähnlich wie das bei Bio-Treibstoffen der Fall ist.‭ „‬Schmierstoffe werden den Übergang zu einer nachhaltigen Mobilität durch eine effizientere Nutzung der Energie und des Antriebsstrangs unterstützen.‭“‬,‭ ‬fasst James Mark,‭ ‬Chef der NEV-Schmiermittel-Abteilung bei Petronas zusammen.

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