Auch wenn die Pandemie gerade in China noch nicht beendet ist, blickt die Autowelt erstmals wieder mit großer Aufmerksamkeit nach Shanghai. Die wichtigste Automesse der vergangenen zehn Jahre zeigt, dass die heimische Autoindustrie selbstbewusster und besser denn je geworden ist. Gerade für die einst so erfolgreichen Europa-Marken wird es schwerer denn je.
China ist wieder offen und so strömt die Autowelt nach Shanghai, wo zum ersten Mal nach mehr als drei Jahren wieder die Auto China als bedeutendste Messe der Welt stattfindet. Vorbei die Zeiten, in denen die Messen in Shanghai, Peking und Guangzhou trotz ihrer Größen allein regionale Bedeutung hatten. Viele der ausländischen Firmen waren mit ihrem Topmanagement drei Jahre nicht hier; entsprechend groß ist dieses Jahr der Andrang zum National Exhibition and Convention Center in Shanghai. Alle, die in der Autowelt etwas auf sich halten, sind hier und wollen sehen, wie sich der wichtigste Automarkt in den vergangenen drei Jahren entwickelt hat. Und die Neuheiten der heimischen Marken lassen selbst vielen Autoexperten die Münder offenstehen. Mercedes-Benz präsentierte mit dem Maybach EQS 680 SUV eine Weltpremiere - sonst aber war der Auftritt des Sterns in Shanghai eher dünn veranlagt.
Bildergalerie: Mercedes-Benz auf der Auto China 2023
Stärker als von vielen erwartet, hat sich China mittlerweile auf die Elektromobilität eingeschworen. Rund ein Drittel aller neu zugelassenen Fahrzeuge verfügen über einen Stecker, sind als Plug-in-Hybrid oder allein mit einem E-Motor elektrisch angetrieben. Großkonzerne wie SAIC, BYD, Great Wall und Geely haben nicht nur neue Autos, sondern in erster Linie neue Marken unterschiedlichster Ausrichtung kreiert, die mit gefälligem Design und modernster Technik bei der heimischen Bevölkerung punkten und fit für die Weltreise sind. Auf der Messe in Shanghai versucht kaum einer der heimischen Hersteller noch, mit Verbrennungsmotoren zu glänzen. Der Blick in die automobile Zukunft an den mächtigen Messeständen von Zeekr, Roewe, MG, Haval oder Great Wall ist ebenso sehenswert wie elektrisch. Die Kopierorgien vergangener Zeiten waren schon vor der Pandemie weitgehend verschwunden. Trotzdem ist das ein oder andere Autodesign allemal gekonnt und durchaus gefällig bei europäischen Modellen angelehnt. Mittlerweile stimmt allerdings auch die Qualität im Innern, gepaart mit modernsten Fahrerassistenzsystemen und gigantischen Displays. Mit einem Fingerstreich lässt sich der Inhalt des 19-Zoll-Zentralbildschirm wahlweise zu Beifahrer oder Fahrer herüberschieben.
Viele der zahllosen chinesischen Marken werden nicht nach Europa kommen; andere wie Great Wall, Geely oder Nio haben Europa längst im Fokus. Als nächstes macht sich mit Zeekr, der Premiumableger von Geely auf, den alten Kontinent zu erobern: „Erst vor zwei Jahren präsentierten wir unser erstes hochmodernes Elektrofahrzeug, den Zeekr 001. Und unser Portfolio ist weiter gewachsen – zunächst kam der Zeekr 009 hinzu und nun der Zeekr X, wodurch wir unser Wachstumspotenzial weiter ausbauen konnten“, so Zeekr-CEO Andy An, „aufbauend auf diesem Erfolg freuen wir uns schon jetzt darauf, unsere Marke als wichtigen Schritt unserer Wachstumsstrategie auf dem europäischen Markt vorzustellen.“
Keine große Überraschung, dass auf der Auto Shanghai in erster Linie die heimischen Marken Glanzlichter setzen. Doch wer beispielsweise die Halle sechs besucht, dem gehen die Augen über. Gefälliges Design, kraftvolle Elektromotoren und Türen, die sich auf Gesichtserkennung von Geisterhand öffnen, gibt es ebenso wie Lidar-Sensoren, Massagesessel auf allen Plätzen, inszenierte Lichttechnik und ein Design, dass insbesondere die europäischen Marken unter Druck setzt. In Europa wird nach wie vor in siebenjährigen Modellzyklen gedacht, bei dem die Fahrzeuge durch dezente Überarbeitungen zur Mitte der Laufzeit frisch gehalten werden. Die chinesischen Marken sind innovativer, schneller und auch mutiger; können sich nicht auf Tradition und historische Markenkerne berufen, doch das scheint die chinesischen Kunden immer weniger zu interessieren. Ihnen geht es um einen guten Deal – viel Auto für möglichst wenig Zaster. Obligatorisch sind eine perfekte Vernetzung, nebst WeChat-Integration (das chinesische WhatsApp), bei dem während der Fahrt bezahlt oder mit der Community diskutiert wird. Die großen Displays machen im digitalen Alltag mehr als Sinn. Dazu kommen Gesichtserkennung, Gestensteuerung und eine Bedienung per Sprache nebst künstlicher Intelligenz.
Derweil ist die Marktlage schwierig. Die europäischen Marken sind mehr denn je unter Druck, denn es läuft aktuell nicht besonders. Gerade die Elektromodelle der deutschen Hersteller hinken deutlich hinter den China-Modellen hinterher. Sie sind deutlich günstiger, bieten die geforderte Vernetzung, sind schön anzuschauen und ihre Bildschirme im Innern sind Teil des mobilen Lebens. Gerade die Premiummarken aus deutschen Landen mühen sich zu kontern, denn sie sind sich der ernsten Lage bewusst. Die Konzerne von Volkswagen, BMW oder Mercedes machen hier im Autoland der unbegrenzten Möglichkeiten einen großen Teil ihrer Gewinne. Den Markt einfach wieder zurück an die aufstrebenden Heimspieler zurückzugeben, kommt schon wegen der so starken chinesischen Kooperationspartner nicht in Frage. Premium spielen hier bereits die heimischen Marken in ihrer jeweiligen Konzernabstufung und so führt der Weg in eine erfolgreiche Elektrozukunft nur über den Luxus.
Kein Wunder, dass BMW hier sein neues Topmodell i7 M70 xDrive, eine 660 PS starke Luxuslimousine vorstellt. Die ist ebenso elektrisch angetrieben wie der Mercedes Maybach EQS SUV – ebenfalls das neue Aushängeschild aus dem Mercedes-Markenverbund. Die Zwölfzylinder von einst wurden längst durch leistungsstarke Elektromotoren abgelöst – innen maximaler Luxus – außen mächtig Eindruck. Porsche präsentiert in China seinen gründlich aufgefrischten Cayenne – nicht rein elektrisch; aber zumindest als Plug-in-Hybrid mit bis zu 80 Kilometern elektrischer Reichweite. Bediengene und Designanleihen stammen vom elektrischen Taycan – nicht aus Zufall. Noch mehr Power offeriert der bullige BMW XM Label Red – ein Power-Hybrid mit knapp 750 PS. Auch Volkswagen kann Luxus – nur eben für die breite Masse. Der VW ID7 feiert seine Weltpremiere – natürlich ebenfalls in Shanghai und mit so viel Ausstattung und Komfort, dass der elektrische Passat der Fünf-Meter-Klasse das Tor zur Premiumliga weiter denn je aufstößt – mit Fahrerassistenz der Zukunft und Reichweiten von bis zu 700 Kilometern.
Beinahe in diese Sphären stößt auch der Polestar 4. Die Elektroschweden gehören seit Jahren zum Geely Konzern und so ist die Auto Shanghai für Polestar und seinen Vierer ebenso ein Heimspiel wie für die Schwestermarke Volvo, die erstmals auf dem Heimatmarkt China den edlen EX90 präsentiert. Ein paar Klassen darunter, ebenfalls elektrisch und chinesisch: der neue Smart #3. Allein für den chinesischen Markt gedacht der neuen BMW iX1 in der obligatorischen Version mit langem Radstand. Ebenfalls nur für den chinesischen Markt der Audi Q5 Etron, der große Bruder des Q4 mit nahezu identischer Technik und gefälligem Aussehen. Audi-CEO Markus Duesmann: „Zusammen mit unseren chinesischen Partnern legen wir den Grundstein für anhaltenden Erfolg in unserem größten Einzelmarkt und treiben die Transformation unseres Geschäftsmodells voran. Deshalb ist es für uns entscheidend, auf die spezifischen Anforderungen unserer chinesischen Kunden einzugehen.“ Und gerade hierauf bezogen gibt es für die Europäer einiges zu tun, denn sonst ist der chinesische Transrapid abgefahren.
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