Feuer unterm Dach im Mercedes-Autohaus. Die deutschen Händler des Sterns machen mobil und Front gegen die Luxusstrategie und Preispolitik des Sterns. Warum? An der Verkaufsfront in den Glaspalästen ist offenbar ordentlich Druck im Kessel. Der Verband der deutschen Mercedes-Händler lässt in einem Brief an Mercedes-Vertriebsmanager dermaßen Dampf ab, dass verbal mächtig die Fetzen fliegen. Moment: Die jüngsten Quartalszahlen von Mercedes-Benz waren doch top! 5 % Absatzplus im ersten Halbjahr 2023 - ist das nicht ein Indikator dafür, dass die von Mercedes CEO Källenius verordnete Preispolitik und Luxusstrategie die geld- und goldrichtige ist? Die Händler sind anderer Meinung und finden für ihre Kritik drastische Worte. Das gegenwärtige Geschäftsmodell sei Gier getrieben. Weil einerseits immerzu an der Preisspirale nach oben gedreht werde und andererseits es an Produktqualität mangele, blieben viele Seiten in den Auftragsbüchern seit Juni leer und die Neuwagenkunden wanderten zur Konkurrenz ab. Die Mercedes-Pkw-Preise seien zu hoch. Die Produktqualität nicht gut genug. Auf den Punkt gebracht, befürchten die deutschen Mercedes-Händler, „dass der Hersteller den deutschen Markt mit Vollgas gegen die Wand steuert.“ Oha, Mercedes wir müssen reden!
„Wutbrief“ der Mercedes-Benz Händler
Mit höflichen Floskeln hält sich die Anklageschrift des Verbands der Mercedes-Benz Vertreter e.V. (VMB), in dem sich seit 1989 alle deutschen Mercedes-Vertreter als Unternehmensverband zusammengefunden haben, nicht lange auf. Der auf den 29.06.2023 datierte Brief ist voll von Mahnungen, Warnungen, Anklagen und Vorwürfen mit einer teilweise sehr gepfefferten Wortwahl. Business Insider zitiert große Passagen aus dem nicht für die Öffentlichkeit bestimmten Schreibens.
Brandbrief der Mercedes-Benz Händler
In dem erwähnten Brandbrief der Mercedes-Benz Händler heißt es zum Beispiel: „Das Image von Mercedes-Benz nimmt Schaden, unsere Kunden verstehen die eingeschlagene Strategie der Mercedes-Benz AG weniger als Luxusstrategie, eher als die der ‚Gier. (...) Auch für Luxus müssen die Preise passen, ganz zu schweigen von der Qualität. Besonders, wenn durch die Rezession die europäischen Märkte ohnehin am Boden liegen“.
Die Konzernleitung der Mercedes-Benz Group AG sieht die Sache bekanntlich anders. Bei Mercedes-Benz verfolgt man eine robuste Preispolitik mit Fokus auf Marge. In Stuttgart ist man der festen Überzeugung, dass die Kunden bereit seien, für die als begehrlichste Autos der Welt vermarkteten Mercedes-Benz Pkw mehr zu bezahlen. Und zwar immer mehr und mehr und mehr.
Auf Händlerseite werden aber nicht die geplanten Umsatzzahlen von morgen herbeigeträumt, sondern auf die aktuellen Auftragseingänge (die nicht zuletzt das Werkstattgeschäft von morgen sind) geguckt. Und da schaut es bei den deutschen Händlern offenbar erschreckend mies aus. Entsprechend wehklagend und alarmierend lautet die Mahnung an die Mercedes-Topmanager: Die schlechte Auftragseingangssituation eskaliere dermaßen, „dass zunehmend die Sorge unter den Agenten besteht, dass der Hersteller den deutschen Markt mit Vollgas gegen die Wand steuert.“ Harte Worte für harte Wahrheiten?
Die Wut wächst?
Da bekommt man als Außenstehender große Ohren und fragt sich doch, woher die Händler den Mut nehmen, Vertrieb und Konzernspitze - und damit auch CEO Ola Källenius, obwohl dieser im Schreiben nicht direkt angesprochen wird - dermaßen harsch anzugehen. Oder ist es gar kein Mut, sondern wachsende Wut mit dem aktuellen Geschäftsverlauf oder nur Unmut mit einer aufoktroyierten Strategie, die seit der Umstellung auf den Vertrieb der Zukunft (VDZ) zum Juni dieses Jahres die Händler eines Großteils ihres selbständigen Agierens beraubte und sie zu Agenturen und bloßen Weisungsempfängern des Mercedes-Benz Vertriebs degradierte?
Wer die Klagen der Händler hört, der merkt schnell, dass es dem Absender des Briefs nicht nur um das Abarbeiten von eventuell aufgestautem Frust, sondern wirklich und wahrhaftig um die Wurst respektive um die Zukunft des Sterns geht.
Das Wehklagen kann man natürlich als Kassandra-Rufe abtun. Aber die Händler schauen, um die Zukunft vorherzusehen, nicht in eine Glaskugel, sondern in ihre Auftragsbücher. Was die günstig ausschauenden, jüngsten Quartalszahlen ja nicht aussagen, ist der momentane Verlauf des Geschäfts. Die deutschen Händler indes wissen, was tagesaktuell in den Auftragsbüchern steht. Und ihre Vertragsabschlüsse mit Kunden gehen offenbar dramatisch zurück. Neben den Klagen der Händler in Folge der Umstellung auf das Agenturmodell, welches ihnen offenbar hohe Kosten und andere Nachteile beschere, bereiten den Händlern vor allem die sinkenden Auftragseingänge die allergrößten Sorgen.
Der Auftragseingang im Monat Juni sei „historisch niedrig“, informiert der VMB in einem internen Schreiben vom 10.07.23 seine Mitglieder (das Schreiben liegt Mercedes-Fans.de vor). Während im Mercedes-Vertrieb diesbezüglich offenbar keine Warnleuchten angehen und ergo kein Handlungsbedarf gesehen werde, sind die Händler hochgradig alarmiert.
Kritikpunkt: Preispolitik
Aufgrund der Rückmeldungen der Neuwageninteressenten, kennen die Händler die Gründe für die stark eingebrochenen Auftragseingänge. Es ist eine aus ihrer Sicht und nach gegenwärtiger Marktlage völlig verfehlte Preispolitik: Es sei nicht richtig, dass Mercedes-Benz Pkw unverändert an einer stetigen Preisspirale mit einer Kombination aus Listenpreisanpassungen über Modelljahresänderungen sowie einer durchgehenden Einführung der Paketlogik drehe. Anders gesagt: Mercedes-Benz Pkw sind zu teuer geworden. Die Folge: Der Kunde wende sich ab und gehe zur preiswerteren Premiumkonkurrenz Audi und BMW.
Kritikpunkt: Produktqualität
Wer Premium-Preise verlangt, sollte auch Premium-Qualität liefern. Doch mit der Produktqualität von Mercedes-Benz hapere es erheblich, klagt der VMB. Im Schreiben an seine Mitglieder vom 10.07. heißt es wortwörtlich. „Die aktuelle Produktqualität ist ein Dauerthema, welches weit entfernt von der Luxusstrategie des Herstellers derzeit das Gegenteil abbildet. Seitdem wir dieses Thema (...) überdeutlich beim Vorstand angesprochen hatten, macht es nicht den Eindruck, als habe sich etwas verbessert. Besonders bei den Marktanläufen der C-Klasse oder beim SL stellen wir gravierende Nacharbeiten bei einem Großteil der Fahrzeuge fest. Eine Antwort auf die Situation hatte der Hersteller gegenüber uns bislang nicht. Natürlich bremst auch dies das den Auftragseingang, wenn die Mitarbeiter mehr mit psychologischen Maßnahmen am zurecht verärgerten Kunden beschäftigt sind als mit einem aktiven Vertrieb.“
Zusammengefasst ist die Situation diese: Der Verband der Mercedes-Benz Vertreter e.V. (VMB) warnt nachdrücklich vor einem bedingungslosen Festhalten an dem eingeschlagenen Kurs der Luxusstrategie und robusten Preispolitik, wie er derzeit bei Mercedes-Benz ohne Wenn und Aber durchgezogen wird. In die Zukunft geschaut, sei das kein Erfolgskurs, sondern ein Irrweg. Mit seiner Strategie sei Mercedes-Benz falsch abgebogen. Der Kurs müsse korrigiert werden. Die Marktverhältnisse hätten sich geändert. Darauf müsse der Stern unbedingt zeitnah reagieren - ansonsten drohe er in Deutschland "mit Vollgas gegen die Wand“ zu steuern.
1 Kommentar
R129Fan
14. Juli 2023 19:29 (vor einem Jahr)
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