Praxistest: Mercedes G-Klasse 350 d

Alles außer gewöhnlich

Praxistest: Mercedes G-Klasse 350 d: Alles außer gewöhnlich
Erstellt am 17. Juli 2020

Eigentlich verbietet es sich, bei einem Grundpreis von fast 100.000 Euro von einer Einstiegsvariante zu sprechen. Doch die Mercedes G-Klasse 350 d ist genau das. Im Alltag überzeugt der Geländewagen, zeigt aber auch, dass Wendekreis und Breite durchaus eine Rolle spielen.

Der Nachbar, der frühmorgens mit müden Augen und zerknautschten Gesicht klingelte, bat nicht um Salz oder sonst ein Gewürz. Der Grund für die Stippvisite war ein anderer: „Müssen die Türen Ihres Autos beim Schließen so scheppern?“, fragte der Untermieter. Erklärungsversuche, dass das blecherne Geräusch bei einer Mercedes G-Klasse aus Reminiszenz-Gründen an den Vorgänger so gewollt ist, fruchteten ebenso wenig, wie der Hinweis, dass der Geländewagen, aufgrund seines Gewichts von 2.489 Kilogramm nicht in die Duplex-Garage passte. Lediglich die Tatsache, dass der schmucke metallicblaue Geländewagen nur ein temporäres Gastspiel feierte, beruhigte den freundlichen Hausgenossen merklich. Diese kleine Anekdote zeigt: Eine G-Klasse ist nichts für jedermann. Die Neuauflage des Geländewagens ist kantiger, markanter und einfach anders, als ein weichgespülter Crossover, der vielleicht den Zeitgeist trifft, aber bei einem vereisten Anstieg schon mal die Räder streckt. Das kann einen bei diesem Sternenkreuzer nicht passieren – drei Sperren plus Untersetzung, alles da.

In der Stadt ist die G-Klasse aufgrund ihrer Länge von 4,82 Metern, der Breite von 2,19 Metern (inklusive Außenspiegeln) und des Wendekreises von 13,6 Metern, nicht der beste Freund des Parkplatzsuchenden. Dazu kommt die Tatsache, dass die Hecktür seitlich angeschlagen ist und den Ersatzreifen aufgesetzt hat. Das macht das Beladen bei engen Parklücken, in denen die Autos Stoßstange an Stoßstange stehen, nicht einfacher. Dafür hilft aber die sehr gute 360 Grad Kamera beim Rangieren. Der Kofferraum ist mit einem Volumen von maximal 1.941 Litern natürlich groß genug, um die Einkäufe zu transportieren. Dafür sorgt alleine schon die Höhe des Gefährts von 1,97 Metern, wegen der man in manchen Tiefgaragen unwillkürlich den Kopf einzieht. Allerdings ist das Füllen des Gepäckraums mit mehr Aufwand verbunden als bei den meisten anderen Autos. Um die Lehnen der Rückbank umzulegen, müssen erst die Sitzkissen hochgeklappt und die Kopfstützen entfernt werden. Aber auch dann bleibt eine deutliche Stufe im Ladeboden. Kleine Details, wie die rutschfeste Matte, die im Kofferraum hilft, die eingeladenen Gegenstände zu fixieren sind dagegen sehr praktisch.

Beim Losfahren erschrecken sensible Naturen gerne einmal, wenn die Türknöpfe geräuschvoll nach unten schnalzen. Aber auch das gehört zu einer Mercedes G-Klasse. Die hohe Sitzposition und die kantige Karosserieform helfen im Großstadtdschungel natürlich ungemein. Dazu kommen noch jede Menge Sensoren und Fahrassistenten, wie der Toter-Winkel-Assistent. Bei allem zelebrierten Purismus ist die Symbiose zwischen Tradition der Modellreihe und moderner Technik bei der G-Klasse gut gelungen. Auch das MBUX-Infotainmentsystem mit seinen beiden Bildschirmen und den gestochen scharfen Anzeigen passt zur G-Klasse. Die Spracheingabe erleichtert die Bedienung, erreicht aber nicht ganz das Niveau eines BMWs. Die wuchtige Karosserie hat auch beim Rechtsabbiegen ihre Nachteile. Hier wäre ein Assistent, der Radfahrer und Fußgänger erkennt, hilfreich. Bei Dunkelheit freut man sich über die LED-Scheinwerfer, die bei der G-Klasse Einzug gehalten haben.

Unterwegs gibt sich die G-Klasse wenig Blößen. Aufgrund des hohen Aufbaus ist der Geländewagen etwas straffer abgestimmt als ein herkömmliches SUV, die massive Schrankwandfront mit einem Cw-Wert von 0,54 erweist sich als effizienter Insektenfänger und bei hohen Geschwindigkeiten nötigen die deutlich vernehmbaren Windgeräusche die Insassen dazu lauter, als gewöhnlich zu sprechen. Das fällt umso mehr auf, da der Dreiliter Diesel nicht zu den vorlauten Vertretern seiner Zunft gehört. Mit 210 kW / 286 PS ist man nicht untermotorisiert und kommt auch auf Langstrecken gut voran. Das liegt auch an dem maximalen Drehmoment von 600 Newtonmetern, das immerhin schon bei 1.200 U/min bereitsteht. Die sehr unaufgeregt agierende Neungangautomatik trägt ihren Teil zum vernünftigen Reisekomfort bei, ebenso wie die sehr guten Sitze. Wer mehr Souveränität im Durchzug will, sollte zur 400-d-Variante mit 243 kW / 330 PS greifen.

Wie bereits erwähnt, geben die Fahrleistungen keinen Anlass zur Klage. Nach 7,4 Sekunden wuchtet sich die G-Klasse auf 100 km/h und schafft immerhin maximal 199 km/h. Beide Werte konnten wir beim Test validieren, und selbst bei hohem Tempo ist der Gelände gut und entspannt zu fahren. Wenn es etwas ambitionierter zur Sache geht, schnellt der Verbrauch nach oben. Mercedes gibt 9,6 Liter pro 100 Kilometer an. Wir absolvierten den Testzeitraum mit 13,1 l/100 km. Fairerweise muss aber erwähnt werden, dass wir auch schneller auf Autobahnen unterwegs waren. Auch das kann die neue G-Klasse und legt damit deutlich mehr Allroundtalent zutage als das der Vorgänger – Basisversion hin oder her.

Bildergalerie: Mercedes G-Klasse 350 d 20 Bilder Fotostrecke | Praxistest: Mercedes G-Klasse 350 d: Kein Jedermann #01 #02

Datenblatt Mercedes G-Klasse 350 d
Typ: Geländewagen
Motor: Sechszylinder-Diesel
Hubraum (cm3): 2.925
Leistung in PS (kW) bei U/min-1: 286 (210) bei 3.400 bis 4.600
Max. Drehmoment (Nm) bei Umin-1: 600 bei 1.200 bis 3.200
Höchstgeschwindigkeit (km/h): 199
Beschleunigung 0-100 km/h (sek.): 7,4
Getriebe: Neungang-Automatik
Antrieb: Allradantrieb
Treibstoffsorte: Diesel
Tank (L): 100
Verbrauch EU-Drittelmix (l/100 km): 9,6
CO2-Ausstoß (g/km): 252
Gewicht, Herstellerangabe (kg): 2.489
max. Zuladung (kg): 699
Abmessungen (L/B/H): 4.825 / 2.187 / 1.969 (L/B/H)
max. Ladevolumen (L): 454 bis 1.941

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