Erstmals in seiner Unternehmensgeschichte bringt Daimler ein echtes Konkurrenzmodell für die Mercedes S-Klasse auf den Markt. Die Erwartungen an den EQS als elektrische Luxuslimousine sind dabei gewaltig. Eine erste Testfahrt zeigt, was der Gigant aus Sindelfingen draufhat.
Das Risiko ist allemal groß, denn die S-Klasse ist bei Mercedes eher eigene und besonders ertragreiche Submarke denn nur reine Modellreihe. Doch zumindest auf einigen Märkten dürfte der Mercedes EQS ab dem Jahre 2022 der übermächtigen S-Klasse den Rang als absolutes Topmodell abspenstig machen können. Das Design ist dabei für Fans klassischer Limousinen gewöhnungsbedürftig, denn von der Motorhaube bis zum kurzen Heck zieht sich die Silhouette trotz der leichten Resttarnung in einer durchgehenden Bogenform über das elektrische Luxusmodell. Man kann dem Designteam rund um Chefdenker Gorden Wagener dabei nicht den Vorwurf machen, sie hätten sich den Job einfach gemacht. Der EQS ist nicht nur technisch, sondern auch optisch maximal weit von der noch jungen S-Klasse wegpositioniert. Dass speziell viele europäische S-Klasse-Kunden zukünftig überlegen, ob sie sich doch diesmal lieber für den EQS entscheiden werden, darf bezweifelt werden. In Asien oder einigen Metropolen der USA dürfte das hingegen anders aussehen. Der EQS zeigt, dass er anders ist. Das erklärt auch den spektakulären cW-Wert von 0,20.
Was hat der E-Gigant aus Sindelfingen auf dem Kasten?
„Wir streben bei Mercedes nichts weniger als die Führung im Bereich der Elektromobilität und Digitalisierung durch eine intelligente Plattformstrategie und einen softwarebasierten Ansatz an“, so Markus Schäfer, Daimler-Entwicklungsvorstand, „der neue EQS zeigt: Wir verfolgen unseren eigenen Mercedes Weg, indem wir den Kunden mit unseren Elektrofahrzeugen eine hocheffiziente, elektrische und luxuriöse Erfahrung bieten.“ Das Ein- und Aussteigen geschieht erstmals in der Sternenwelt halbautomatisch, denn die Fahrertür öffnet sich wie die andere drei Einstiege wie von Geisterhand elektrisch auf Tastendruck. Innen gibt es helles Leder und ein Armaturenbrett, das auf der nur virtuell ausgetragenen Consumer Electronic Show bereits seine Premiere feierte. Der Hyperscreen ist dabei eine Mischung aus Armaturenbrett, Mittelkonsole und drei Displays, die einen auf den ersten Blick mit Informationen zu erschlagen scheinen.
Wird der EQS das neue Flaggschiff von Mercedes-Benz?
Auf den zweiten Blick sieht es dann schon bekannter aus, denn viele Elemente kennt man bereits aus der aktuellen Mercedes S-Klasse der Baureihe W 223. Trotzdem wirkt das Cockpit der S-Klasse gegenüber de EQS von vorgestern; insbesondere wegen des kleinen Displays hinter dem Steuer. Das Beifahrerdisplay ist in der Mercedes S-Klasse aktuell gar nicht zu bekommen. Damit der Fahrer von der Unterhaltung auf dem Beifahrerdisplay nicht abgelegt wird, schaltet sich dies bei zu häufigem Augenkontakt des Fahrers einfach ab. Überhaupt ist im EQS-Prototypen alles etwas größer. Der S-Klasse-konkurrent ist nur mit einem Radstand zu bekommen und die Abmessungen sind im Innern beinahe so großzügig wie die der langen S-Klasse. Das gilt mehr denn je für das Gepäckabteil, denn die Fließhecklimousine hat einen mächtigen Laderaum von 600 Litern, das sich durch Umlegen der Rücksitze auf bis zu 1.700 Liter erweitern lässt. Da wundert es umso mehr, dass der Mercedes EQS nicht nur über einen Radstand verfügt, sondern auch nicht mit einer elektrischen Einzelsitzanlage im Fond geordert werden kann. Das dürfte gerade in Asien ein paar Kunden kosten.
Der EQS ist straffer und dynamischer als die S-Klasse
Die Basisversion des Mercedes EQS 450 wird mit seinem 90-kWh-Akku 245 kW / 333 PS / 568 Nm leisten und etwas überraschend allein über die Hinterachse angetrieben. Die meisten Modelle werden jedoch über Allradantrieb, den großen Akku mit 107,8 kWh und stattliche 385 kW / 520 PS / 855 Nm verfügen wie das Topmodell EQS 580 4matic bis im Herbst die AMG-Variante folgt. Wie von einem Elektromodell zu erwarten, startet der EQS geräuschlos und rollt ebenso die ersten Meter Richtung Straße. Die scharfe Kurve am Tor schafft das neue Topmodell mit Stecker ohne Probleme. Serienmäßig ist der EQS immer mit einer Hinterachslenkung ausgestattet. Wie bei der S-Klasse gibt es diese in zwei Varianten – in Abhängigkeit von Radsatz und Kundenwunsch. In die kleine Lücke im fliegenden Verkehr südlich von Stuttgart kommt der rund 2,5 Tonnen schwere Allradler ohne Anstrengung – das maximale Drehmoment von über 800 Nm liegt vom Start weg an und die Gewichtsverteilung ist ideal – dabei ist der EQS gefühlt eine Spur straffer und etwas dynamischer als die S-Klasse in ihren verschiedenen Motorvarianten.
Schon bei 210 km/h ist Schluss - AMG will aber mehr!
Die Motorleistung des Elektro-580ers ist üppig, der Antritt ohne Vorwarnung beinahe brutal und doch wird der Mercedes EQS kaum jemanden bei schneller Fahrt auf der linken Spur wirklich beeindrucken können. Zwar erlaubt sich der Elektrokoloss aus Sindelfingen nicht die Blöße des Erstlingswerks EQC mit seinen allzu früh abgeregelten 180 km/h, doch mit 210 km/h ist der EQS auch keine Rakete im elektrischen wie nicht-elektrischen Wettbewerbsumfeld. Auf schnellen Autobahnpassagen fährt man der Konkurrenz deutlich hinterher – erst die AMG-Variante wird 250 km/h schnell surren. Der Verbrauch war den Daimler-Entwicklern wichtiger als das gewohnte Verbrennertempo. Die Version mit Hinterradantrieb und großem Akkupaket (zwölf Zellmodulen) soll bis zu 770 Kilometer mit einer Batterieladung kommen. Die maximale Rekuperationsleistung liegt je nach Fahrmodus, die über die Schaltpedale angesteuert werden können, bei maximal 290 kW. Anders als Porsche Taycan oder Audi E-Tron kann der EQS jedoch nur mit maximal 200 Kilowatt Gleichstrom laden. Das würde bei idealen Bedingungen jedoch immerhin 300 weitere Kilometer in 15 Minuten bedeuten. Wie bei der Konkurrenz soll es auch hier bequemer werden. Das Einstecken des Ladekabel reicht – Ladesteuerung und Abrechnung erfolgen automatisch – wenn die Ladesäule mitspielt.
Kleiner Patzer bei der Fahrerassistenz?
Beeindruckend ist der Geräuschkomfort des Luxusmodell, der wahlweise auf 19-, 20- oder 21 Zoll großen Rädern rollt, denn hier ist der EQS eine echte Schau, die selbst die S-Klasse noch in den Schatten stellt. Und die ist bereits Referenzklasse in der Luxusliga. Der EQS wirkt entkoppelter, anders – eben ein Stück Zukunft, das nur die Elektromobilität bringen kann. Die beiden Elektromotoren an Vorder- und Hinterachse sind moderne permanenterregte Synchronmaschinen – hinten gibt es zwei Wicklungen mit jeweils zwei Phasen für mehr Power. Leider patzt der Mercedes EQS nicht nur als Prototyp wie schon die S-Klasse beim Thema Fahrerassistenz. Auch hier wird es zum Marktstart in diesem Sommer keine teilautonomen Fahrfunktionen der Stufe drei geben. Die sind erst für Mitte 2022 vorgesehen und dann auch erst einmal nur in Deutschland und analog zu S-Klasse nur in langsamen Geschwindigkeitsbereichen.
26 Bilder Fotostrecke | Konkurrenz für die eigene S-Klasse?: Erste Fahrt im E-Gigant Mercedes-EQS 580 4MATIC
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