Wenn Renato aus Köln an schönen Tagen sein Sonntagsauto aus der Garage holt und eine Ausfahrt unternimmt, dann fällt sein dunkelgraues 1990er-Jahre-Coupé im Straßenbild zunächst kaum auf. Vornehmlich dürften es Mercedes-Benz-Kenner und Automobil-Fans über 30 sein, deren Kopf dann doch ruckartig herumwirbelt, sobald sie das Fahrzeug als das erkennen, was es in Wahrheit ist: Ein absoluter Exot, von dem nur ein knappes Dutzend überhaupt je gebaut wurden ein Boschert B300-24 C Biturbo.
Doch erzählen wir die Boschert-Geschichte von vorn: Auf der Internationalen Automobil Ausstellung (IAA) des Jahres 1989 rückte der aufstrebende Industriedesigner Hartmut Boschert aus dem süddeutschen Emmendingen seinen Prototypen eines Flügeltür-Coupés auf Mercedes-Benz W124-Basis mit gekürztem Dachbereich und einer Frontpartie im Design der zu dieser Zeit gerade frisch vorgestellten SL-Baureihe R129 ins Rampenlicht.
Einen in der Branche bekannten Namen hatte sich Boschert zuvor bereits mit Flügeltür-Umbauten der großen W126-SEC-Coupés gemacht. Das Echo auf seinen W124-Flügeltürer war offensichtlich so groß und positiv, dass in Zusammenarbeit mit einem renommierten Konstruktionsbüro eine Kleinserienfertigung des Boschert-Coupés in Angriff genommen wurde. Ohne die spektakulären Flügeltüren zwar, aber immerhin mit der modifizierten Dachlinie, der SL-Look-Frontpartie und einem bärenstarken Turbomotor. Der Boschert B300-24 C Biturbo war geboren.
Lediglich elf Boschert B300-Coupés wurden im Zagato-Werk im italienischen Turin gebaut.
Die Kleinserie allerdings blieb wirklich klein: Lediglich elf Boschert B300-Coupés wurden im Zagato-Werk im italienischen Turin gebaut. Designer Hartmut Boschert selbst definierte sein Produkt damals so: Mercedes baut den SL nur als Zweisitzer. Ich biete ein vergleichbares Fahrzeug als Viersitzer. Der Produkt-Prospekt avisierte entsprechend einen Sportwagen auf Mercedes-Benz Coupé Basis. Und den ließ man sich gut bezahlen: Rund 180.000 Deutsche Mark kostete ein Boschert B300-24 C Biturbo inklusive des neuen Mercedes-Benz 300 CE-24-Basisfahrzeugs. Zum Vergleich: Ein 300 SL-24 schlug 1990 mit rund 132.000 Mark zu Buche.
Die weitaus größere Exklusivität aber brachte natürlich das gekürzte Coupé mit, bei dem es sich auch offiziell nicht um einen getunten Mercedes-Benz handelt: In den Fahrzeugpapieren ist als Hersteller Boschert und als Typ B 300C vermerkt. Auch den charakteristischen Mercedes-Stern durften die Boschert-Coupé-Neuwagen nicht im Kühlergrill tragen, unser Fotofahrzeug erhielt seinen irgendwann im Laufe seines Lebens zurück.
Das Sammlerstück war als Alltagsfahrzeug im Einsatz
An seinen Boschert kam Renato wie in solchen Fällen üblich über drei Ecken: Während seines Studiums arbeitet er regelmäßig im bayerischen Landkreis Traunstein für seinen dort beheimateten Schwager. Einer dessen Freunde besaß den hier gezeigten Boschert B300-24 C Biturbo und fuhr diesen im harten Ganzjahres-Alltagseinsatz. Acht Jahre musste Renato diesen Missbrauch mit ansehen, bis er die erste sich bietende Gelegenheit ergriff, den Boschert käuflich zu erwerben.
Natürlich hatte das Coupé über die Jahre und in knapp 130.000 Kilometern Laufleistung erhebliche Gebrauchsspuren davongetragen, so dass Renato das Fahrzeug zunächst optisch und technisch aufarbeitete. Als gelernter Kfz-Meister und Kfz-Sachverständiger fiel ihm das naturgemäß nicht allzu schwer.
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Von vorne R129 - das Heck unverkennbar W124
Und damit zurück zu den Kopf-drehenden Mercedes-Benz-Kennern. Diese identifizieren den Boschert in erster Linie an seiner gekürzten Dachpartie: Das Fahrzeug ist zehn Zentimeter kürzer als ein Serien-300 CE-24 und das bei einer unangetasteten Bodengruppe, also einem unverändertem Radstand von 2.715 Millimetern! Dennoch steht den vier Passagieren nicht erkennbar weniger Raum zur Verfügung, als in einem unveränderten W124-Coupé. Wie kann das sein?
Boschert strich einfach einen Fahrzeugteil, der zwar bis heute in der Wahrnehmung von Mercedes-Benz-Fahrer zuweilen eine große Rolle spielt aber in den seltensten Fällen wirklich genutzt wird: Über eine nennenswerte Hutablage verfügt der Boschert nicht. Unmittelbar hinter den Fond-Kopfstützen setzt die Heckscheibe auf. Optisch deutlich verlängert wirkt durch diese Modifikation der Bug, den Boschert mit eigenen Bauteilen auf R129-Look trimmte. Auch beim hinteren Stoßfänger handelt es sich um eine Eigenanfertigung. Für die hochwertige Karosserie-Verwandlung des 300 CE-24 zum B300-24 C wurden seinerzeit eigens spezielle Werkzeuge hergestellt und alle neuen Karosserie-Metallteile wurden aus 0,9 Millimeter starkem Stahlblech gefertigt.
Dazu wurden sämtliche Anbauteile in der Originalbefestigungstechnik mit Karosserie verbunden, was eine exakte Passgenauigkeit erfordert. Dass der Boschert laut Datenblatt zudem drei Zentimeter flacher ist als ein W124-Coupé, dürfte der Tieferlegung durch das Sportfahrwerk zuzuschreiben sein, das Boschert in Kooperation mit Bilstein in aufwändiger Arbeit (unter anderem auf der Nürburgring-Nordschleife) entwickelte und dessen ausgewogene Abstimmung auch mehr als 20 Jahre nach dessen Premiere noch passt.
Biturbo-Power mit 320 PS
Das Bilstein-Fahrwerk hat auch durchaus seine Berechtigung, denn wie eingangs angedeutet hat es der Boschert B300-24 C Biturbo auch faustdick unter der Haube: Der Sechszylinder-Einspritzmotor mit Vier-Ventil-Kopf und vollen drei Litern Hubraum wird von einem Mosselmann-Biturbo-System zwangsbeatmet, das zwei Garrett T25-Abgasturbolader, einen Ladeluftkühler, einen Turbo-Fuel-Computer sowie eine grollende Doppelrohr-Auspuffanlage mit Drei-Wege-Katalysator beinhaltet.
Wer von einem Turbomotor der 1980er/1990er Jahre aber nun ein tiefes Turbo-Loch und einen brutalen Turbo-Bums erwartet, der liegt falsch: Beinahe sanft nehmen die beiden Garrett-Lader ihre Arbeit auf, sorgen mit einem moderaten Ladedruck von 0,48 bar zischen für einen mächtigen Schub, der an einen großvolumigen V8-Motor erinnert.
Die Maximalleistung ist mit 320 PS angegeben. Über das breite Drehzahlband zwischen 2.000 und 5.000 Umdrehungen pro Minute liegen stets mehr als 400 Newtonmeter an. Besonders an Kurvenausgängen aber ist ein sensibler Gasfuß gefragt, sonst scharrt der B300-24 C Biturbo angesichts fehlender Elektronik-Helferlein wie ASR oder EPS hilflos mit den Hinterhufen gut so! Die Fahrleistungen sprechen eine deutliche Sprache: In knapp sechs Sekunden katapultiert sich das knapp 1,5 Tonnen schwere Coupé auf 100 km/h, der Vortrieb endet erst jenseits von 270 km/h.
Volllederausstattung
Das Interieur-Design ist eng an das Serienfahrzeug angelehnt: Das Kleinserienfahrzeug verfügt über eine feine Volllederausstattung mit geprägten Boschert-Logos sowie diverse Klavierlack-Oberflächen im Cockpit. Innerhalb des bis 300 km/h reichenden Tachometers prangt ebenfalls ein Boschert-Logo. Unser Fotofahrzeug wurde zudem mit einem 380 Millimeter durchmessenden Momo-Sportlenkrad ausgerüstet.
Text: Sebastian Brühl
Fotos: Sebastian Brühl, Archiv
Mercedes-Fans Facts
16 Bilder
Fotostrecke | Mercedes-Benz Exot: Boschert B300-24 C Biturbo: Sonderfahrzeug auf Mercedes-Benz W124 300 CE-24 Basis
1990 Boschert B300-24 C Biturbo
Antrieb: 6-Zylinder-Einspritzmotor mit 4-Ventil-Technik (vom Mercedes-Benz 300 CE-24), Mosselmann-Biturbo-System (bestehend aus zwei Garrett-Turboladern Typ T25, Ladeluftkühler, Turbo-Fuel-Computer und Doppelrohr-Auspuffanlage mit 3-Wege-Katalysator), 2.960 ccm, Ladedruck: 0,48 bar, 320 PS bei 6.500 U/min, max. Drehmoment: 423 Nm bei 4.000 U/min; Fünfstufen-Automatikgetriebe, Hinterradantrieb
Fahrwerk: Bilstein/Boschert-Sportfahrwerk
Räder: 17-Zoll-Mercedes-Benz-Aluminiumfelgen, Bereifung in 225/45R17 rundum, 20-mm-Distanzscheiben hinten
Karosserie: modifizierte Karosserie auf Basis des Mercedes-Benz W124 300 CE-24, Motorhaube, Kühlergrill und Scheinwerfer im SL R129-Look, Stoßfänger vorn und hinten von Boschert, Seitenbeplankung, Seitenschlitzteile, Schwellerleisten und Stoßfänger in Originalbefestigungstechnik mit Karosserie verbunden
Innenraum: Volllederausstattung mit Boschert-Prägungen, Klavierlack-Oberflächen im Cockpit
1 Kommentar
Tyson66
29. Juni 2012 21:38 (vor über 12 Jahren)
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