Man schrieb das Jahr 1971. Das Ruhrgebiet, wo der moosgrün-metallic-farbene
280 SE/9 3,5 (W108) sein künftiges Autoleben verbringen sollte, war noch immer etwas geschockt von der Bergbaukrise, die 1964 begonnen hatte. Doch es ging wieder auf zu neuen Ufern, Mechanisierung bei der Kohle war das Wort der Stunde.

Von der Welle dieser neuen Euphorie ließ sich wohl auch der Unternehmer Heinz Breilmann tragen, als er für sich den Traum jener Zeit verwirklichte und sich mit seinem neuen SE 3.5 in die absolute Automobil- Oberklasse begab. Natürlich gehörten zur georderten Sonderausstattung eine Lederpolsterung, Klimaanlage, Schiebedach und getönte Scheiben. Einzig auf die damals als Krönung allen Komforts angesehene Luftfederung musste er verzichten, sie blieb dem 300 SEL (W109) vorbehalten. Stattdessen hat die Hinterachse des W108 mittig über dem Gelenk der Eingelenkpendelachse eine hydropneumatische Ausgleichsfeder, die das Niveau der Karosserie stabil hält.

W108 zunächst als 250 S, 250 SE und 300 SE

Für Heinz Breilmann und seine zusammen mit seinen Brüdern betriebene Gesellschaft für Elektrotechnik war ein solches Fahrzeug seinerzeit eben ein Zeichen gesündesten unternehmerischen Wohlstandes. Von der ersten Ölkrise, die 1973 mit dem ersten autofreien Sonntag kam, gab es 1971 noch keine Vorstellung.
Als Nachfolger der Heckflossenmodelle W111 /112 legte die Marke mit dem Stern im August 1965 den W108 als neues Spitzenmodell auf. Er wurde zunächst gebaut als 250 S, 250 SE und 300 SE. Neu gegenüber seinen Vorgängern waren die Scheibenbremsen an allen vier Rädern. Bei den Motoren griff man für die 250er Modelle auf aufgebohrte Blöcke der 220er Reihe zurück. In der Karosserieform deutete der für das Design zuständige Paul Bracq die bisherigen Heckflossen nur noch ansatzweise an.

W108 von 1971 - Ein voll ausgereiftes Exemplar?

Nachdem ab Januar 1968 die Sechszylinder- Modelle 280 S und 280 SE angeboten wurden, erschienen ab März 1971 der 280 SE 3,5 und der 280 SEL 3,5, beide mit einem 3,5l V8 Motor und 200 PS unter der Haube. Der 280 SE 3,5 erhielt, wie der 300 SEL 3,5, bei dem Mercedes-Benz 1969 erstmalig serienmäßig eine elektronische Einspritzung einsetzte, eine Bosch- D- Jetronik. Gebaut wurde der 280 SE 3,5 bis zum Herbst 1972.
Unser W108 liegt mit seinem Baujahr 1971 also nah am Auslaufen der 108er Baureihe. Wie stets am Ende von Serien kann man hier sicher von einem voll ausgereiften Exemplar seiner Gattung reden. 230 000 km hat er inzwischen hinter sich und all das ohne jegliche Reparatur an Motor und Getriebe und ohne Ölverbrauch.

W108 für drei vorn sitzende Personen zugelassen

Das Stichwort Getriebe führt gleich zu einer Rarität in diesem W108: Anders als bei den weitaus meisten seiner Baureihe liegt der Wählhebel für das 4-Gang Automatikgetriebe am Lenkrad und nicht oberhalb des Kardantunnels. Durch diese seltene Option ist der Wagen in Verbindung mit einem Sitzkissen zwischen rechtem und linken Vordersitz und hochgeklappter gepolsterter Armlehne auch heute noch für drei vorn sitzende Personen zugelassen.
Immer noch genau so eindrucksvoll wie in den 70er Jahren strahlt unser Traum von einem Stern auch heute noch. Beim Fototermin im Innenhof des wunderschön verträumten Schlosses Bladenhorst in Castrop-Rauxel erzählt der heutige Besitzer Heinz-Jürgen Breilmann aus dem weiteren Leben seiner Nobelkarosse:

Rundum-Restauration mit beeindruckendem Ergebnis

Mich hat der W108 eigentlich fast mein ganzes Leben lang begleitet. An Werktagen war mein Vater natürlich mit ihm unterwegs, aber noch gut kann ich mich an Wochenenden und Urlaubsreisen erinnern, als der Stern der Familie gehörte. Eine seinerzeitige Italienreise unserer Familie habe ich sogar später in diesem Auto mit meinen Söhnen nachvollzogen, der Komfort und das Reisegefühl waren einfach unbeschreiblich.
1985, als der Vater älter wurde, entschloss er sich schweren Herzens, sich von seinem Stern zu trennen. Doch schon damals war Heinz-Jürgen offenbar vom Oldtimervirus und der Liebe zu dem Auto befallen, und er sicherte sich beim Käufer, einem befreundeten Castrop-Rauxeler, für den Fall des Weiterverkaufs ein Vorkaufsrecht.
Inzwischen war nach dem langen Berufsleben unseres Haupdarstellers eine Rundum-Restauration geboten, sollte er beim neuen Besitzer wieder so dastehen wie einst. Ein ortsansässiger Fachbetrieb, bekannt für seine Qualitätsarbeit, widmete sich mit beeindruckendem Ergebnis dieser Aufgabe. Ja, und dann wurde der Wagen in sieben Jahren von seinem neuen Besitzer nie gefahren und noch nicht einmal wieder angemeldet.

Ein W108 als Geburtstagsgeschenk?

Ohne dass Heinz-Jürgen, der inzwischen bald 50 Jahre alt wurde, es wusste, kauften seine Mutter und seine Frau, offenbar auch altem Blech nicht abhold, das Familienschmuckstück als Geburtstagsgeschenk für ihn zurück und Heinz-Jürgen hatte seine perfekte Jubiläumsüberraschung. Schließlich war das jetzt wieder neu aufgenommene Familienmitglied schon 1978 der Hochzeitswagen für ihn und seine Frau gewesen.
Anschließend kam Heinz-Jürgen zugute, dass die alte Städtebezeichnung CAS für Castrop-Rauxel wieder als Wunschkennzeichen erhältlich war. Heute steht CAS HB 1H auf dem Nummernschild, sowohl die Initialen seines Vaters als auch die von Heinz-Jürgen. Die Hochzeitsfahrtentradition wurde übrigens bei der Heirat des ältesten Sohnes der Familie fortgesetzt. Dazu stand allerdings einmal wieder eine längere Reise, nämlich nach Ulm an. Aber was macht das einem so rüstigen Veteranen schon, wenn es um Familiengeschichten geht…

Technische Daten:

Baureihe: W 108
Fahrzeugtyp: 280 SE 3,5
Baujahr: 1971
Motor: 8 Zylinder V 8 ( M 116 )
Getriebe: 4 Gang (Lenkradschaltung)
Bremsen: Scheiben vorn und hinten
Räder: Leichtmetall Fuchs 6,5 X 14
Reifen: 205/70 R 14
Fahrwerk: Vorn: Doppel-Querlenker, Schraubenfedern, Gummi-Zusatzfedern, Drehstab-Stabilisator
Hinten: Eingelenk-Pendelachse mit hydropneumatischer Ausgleichsfeder und
Niveauregulierung, Schraubenfedern, Gummi-Zusatzfedern
Karosserie: Serie, Schiebedach
Innenraum: Serie, Polster Leder beige