„Oh, hat Mercedes früher wirklich einmal Fahrräder gefertigt?“, fragen sich viele verdutzt, wenn sie im Mercedes-Benz-Museum die entsprechenden Zweirad-Exponate aus den Zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts bestaunen. Die Antwort lautet „ja“. Tatsächlich waren für eine kurze Zeitspanne Fahrräder im Berliner Werk Marienfelde produziert worden. So wie das hier gezeigte Damenfahrrad „Typ 8“, das den damaligen Anforderungen an Qualität und Komfort in denkbar bester Weise gerecht wurde.
Schwierige Zeiten
Die dröhnenden Kompressor-Motoren der erfolgreichen Mercedes-Boliden gaben den Zwanziger Jahren im angelsächsischen Sprachraum ihren Namen: „Roaring Twenties“. Auf den Rennstrecken der Welt fuhr Mercedes zwar vorneweg. Gleichwohl bedeutete die zweite Dekade des 20. Jahrhunderts aber eine schwierige Phase in der Unternehmensgeschichte. Denn wie alle anderen Hersteller von Hochtechnologie auch hatte man mit den politischen und wirtschaftlichen Nachwehen des Ersten Weltkrieges zu kämpfen. Außerdem war aufgrund internationaler Beschränkungen die Produktpallette verkleinert worden.
Not macht erfinderisch
Neue Erzeugnisse mussten also her, um Lohn und Brot der Mitarbeiter zu sichern. Noch vor dem Zusammenschluss von Benz & Cie und der Daimler Motoren Gesellschaft zur Daimler-Benz AG 1926 hatte die DMG versucht, mit der Herstellung und dem Verkauf von Fahrrädern der allgemeinen wirtschaftlichen Flaute zu begegnen.
Ab 1924 rollt der Mercedes Stern auch auf zwei Rädern über die Straßen
Hierzu war 1923 eigens die Mercedes Fahrradwerke GmbH in Berlin Marienfelde gegründet worden. Aus dem mit „200 Arbeitsmaschinen neuester Bauart“ – so der Text einer damaligen Werbe-Broschüre - ausgestatteten, 150 Meter langen Werkstattgebäude der Mercedes-Fahrradwerke rollten dann 1924 die ersten, „höchste Qualitätsarbeit“ bietenden Zweiräder mit dem Stern in die Verkaufsräume.
Etwa 27.000 Fahrräder verlassen die Fertigungshalle in Marienfelde
Sechs Modelle vom „kräftigen Touren-Rad Mercedes Nr. 1“ über den „Feinsten Straßen-Halbrenner Mercedes Nr. 4“ bis zum „Feinsten Damenrad in Luxus-Ausstattung Mercedes Nr. 6“ waren zunächst verfügbar. Im Laufe der Jahre wuchs das Angebot auf bis zu 13 Modelle. Gleichwohl blieb die Fahrradproduktion nur eine kurze Episode. Nach etwa 27.000 gefertigten Fahrrädern stellte das Unternehmen 1930 die Produktion komplett ein.
Qualität ist oberstes Gebot
Das hier vorgestellte Damenrad vom Typ 8 führt den hohen Anspruch, den Mercedes auch an die Fertigung von Zweirädern, stellte, vor Augen. Das toprestaurierte Fahrrad mit dem Mercedes-Stern an der Front und am Kettenrad befindet sich weitestgehend in der originalen Spezifikation. Zusätzlich sind am Rahmen und dem hinteren Schutzblech Mercedes-Logos angebracht.
Erstklassige Ausstattung
Der Kettenschutz und der Gepäckträger sind zeitgenössische Accessoires des bereits 1868 gegründeten Bielefelder Traditionsunternehmens Hebie, das seit 1905 – und übrigens bis heute - als einer der führenden Zulieferer für die Zweiradindustrie tätig ist. Beachtenswert auch die Torpedo-Dreigang-Nabe, die Fichtel & Sachs 1924 in den Handel gebracht hatte.
Aller guten Federn sind drei
Waren viele Drahtesel zu jener Zeit nicht selten derbe Knochenrüttler, kommt dieses Damenrad mit einem dreifach gefederten Lepper-Sattel daher. Da es sich hierbei ebenfalls um ein Element der Originalausstattung handelt, prangen auf der Sitzfläche die erhaben ins Leder geprägten Mercedes-Sterne.
Text: Frank Ebeling
Fotos: Bonhams, Daimler
9 Bilder Fotostrecke | Drahtesel Deluxe: Fahrrad Typ 8 von Mercedes
4 Kommentare
Mercedes-Fans.de
2. Februar 2021 12:23 (vor über 3 Jahren)
Florian Freund
13. Juni 2016 16:34 (vor über 8 Jahren)
Ulla
1. Februar 2021 11:05 (vor über 3 Jahren)
Egide aus belgien
28. Mai 2015 20:19 (vor über 9 Jahren)
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