Am 26. November 2022 brachte RM Sotheby‘s einen W111 Rallye-Star in der Motorworld München unter den Hammer. 82.800 Euro lautete das höchste Gebot. Für diesen Preis erwarb der Höchstbietende nicht nur einen bemerkenswerten Mercedes-Motorsportwagen der Heckflossen-Ära, sondern auch ein historisch bedeutsames Exemplar. Denn bei diesem Mercedes-Benz 220 SE Baujahr 1961 mit der Startnummer 93 handelt es sich um die Original-Heckflosse, mit welcher die damals am Anfang ihrer großen Rennsport-Karriere stehende finnische Fahrer-Ikone Rauno Aaltonen den Großen Preis von Jyväskylä gewann.
Warum war der Erfolg, den Rauno Aaltonen zusammen mit seinem Teamkollegen Väinö Nurmimaa beim Großen Preis von Jyväskylä damals einfuhr, so bemerkenswert? Die Antwort lautet: Bis dato hatte niemals zuvor ein derart großer Wagen eine Rallye auf engen Schotterstraßen für sich entscheiden können. Auf diesem Terrain hatten bislang kompaktere Exemplare den Sieg bei Grand-Prix-Rallye-Rennen den Sieg unter sich ausgemacht. Und der Sieg von Aaltonen/Nurmimaa auf der Mercedes-Heckflosse war nicht einfach nur ein Sieg - es war ein triumphaler Erfolg, weil der Gesamtsieg mit fünf Minuten Vorsprung vor dem Zweitplatzierten herausgefahren worden war.
Und er siegt doch
So wie man bis heute manchmal hört, dass eine pummelige Hummel aufgrund ihrer ungünstigen Aerodynamik eigentlich gar nicht fliegen kann, war man damals der Überzeugung, dass große Wagen für den Rallye-Sport absolut ungeeignet seien. Auf dem Papier sah der Mercedes-Benz 220 SE tatsächlich auch alles andere als wie ein Sporttalent aus. Der stattliche Benz von 4.875-mm-Länge und 1.320-kg-Leergewicht wurde von einem eher gemütlichen als explosionsartig ausgelegten 2,2-Liter-Reihensechszylinder mit 120-PS-Leistung bewegt. So sollen Sieger beschaffen sein?
21. Internationale Polen Rallye 1961: Böhringer/Aaltonen auf Mercedes 220 SE
Dass das höhere Gewicht des Mercedes-Benz 220 SE im Motorsport-Einsatz nicht unbedingt ein Nachteil sein muss - zumindest dann nicht, wenn der richtige Lenkradakrobat hinter dem Steuer saß - zeigte sich schon bei der Rallye Monte Carlo 1960. Walter Schock/Rolf Mol auf Mercedes-Benz 220 SE (W111) hießen damals die Sieger. Auf den zweiten Platz fuhren Eugen Böhringer/Hermann Socher ebenfalls mit einem Mercedes-Benz 220 SE (W 111). 1961 erreichte der legendäre Böhringer gemeinsam mit dem Rauno Aaltonen Platz zwei in der europäischen Rallyemeisterschaft. Bei der XXI. Internationale Polen-Rallye vom 3. bis 6. August 1961 steuerten Eugen Böhringer / Rauno Aaltonen (Startnummer 63) ihre massige Heckflosse zum Sieg. Siegreich endete im Jahr 1961 auch die transafrikanische Rallye Algier-Kapstadt für den Mercedes-Benz 220 SE. Die erfolgreichen MIBs hinterm Volant hießen Karl Kling und Rainer Günzler.
Aaltonen bringt der Heckflosse das Schottern bei
Der finnische Rennfahrer Rauno Aaltonen war von frühen Jugendtagen ein Mercedes-Fan. Die Liebe zum Stern war ihm sozusagen in die Wiege gelegt, denn sein Vater betrieb in Turku ein Mercedes-Benz Autohaus. Als 22-Järiger nahm Aaltonen im Jahr 1960 zusammen mit Siutla Pentii erstmals einem Mercedes-Benz 220SE an der Jyväskylän Suurajot - der Rallye der 1000 Seen - teil. Damals belegte er den siebten Platz im Gesamtklassement.
1961 ging er wieder an den Start des Grand Prix Jyväskylä - diesmal zusammen mit Väinö Nurmimaa. Für dieses Rennen hatte man dem jungen Finnen einen Werkswagen in Aussicht gestellt, aber der kam dann doch nicht an. Die Zeit drängte. Anstelle eines Werkswagens nahm Raunos Vater einen Mercedes 220 SE aus dem Verkaufsraum seines Autohauses. In aller Eile wurde diese Heckflosse für den Rallye-Einsatz umgebaut. Der Benz erhielt eine leichte Rückbank, einen Sportsitz für den Fahrer, einstellbare Stoßdämpfer sowie straffere Federn vorn und weichere hinten. Auch von Mercedes-Benz kam dann doch noch eine offizielle Unterstützung in Form von acht 15-Zoll-Stahlrädern mit Continental-Stollenreifen an. Was folgte, war der bereits erwähnte ein überwältigender Sieg für Aaltonen und den Mercedes-Benz 220 SE.
Die Faktoren, die den Ausschlag gaben, dass der massige Mercedes sich gegen die Konkurrenten durchzusetzen vermochte, nannte Aaltonen einmal in einem Interview: "Der Mercedes-Motor hat im unteren Drehzahlbereich gut gedreht, und das war das Geheimnis der Geschwindigkeit des Mercedes.“ Neben dem Drehmoment waren auch die von Mercedes-Benz gestifteten Stollenreifen bei der Rallye von Vorteil. Während die steinigen und schotterigen Untergründe die Reifen der Konkurrenten malträtierten, hatte der Mercedes konstanten Grip.
Es heißt, die Familie Aaltonen habe den Wagen nach dem Renneinsatz wieder auf Straßenzustand gebracht, bevor er bald danach dann verkauft worden ist. 1999 tauchte die siegreiche Heckflosse wieder auf und wurde ins Mobilia Rally Museum in Kangasala vebracht. Als Ausstellungsstück blieb der Mercedes 220 SE dort bis Mai 2022.
Nun also hat die Aaltonen-Heckflosse nach der RM Sotheby‘s Auktion wieder einen neuen Besitzer. Hat ein Aaltonen-Fan den 220 SE erworben? Kommt der Wagen jetzt - womöglich auf Nimmerwiedersehen - in eine private Sammlung? Wir wissen es nicht. Weil dieser 61er Mercedes-Benz 220 SE aber die faszinierende Heckflossen-Ära in der Motorsportgeschichte des Sterns repräsentiert, würde man ihn in der Öffentlichkeit bei entsprechenden Events oder historische Rallyes bestimmt gern sehen.
Bildergalerie: 61er Mercedes-Benz 220 SE von Rauno Aaltonen
40 Bilder Fotostrecke | Rallye-Legende: Mercedes-Benz 220SE von Rauno Aaltonen: Road-Star der frühen 60er
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