Mercedes-Benz T 80 Rekordwagen (Teil 1)

Die Geschichte hinter dem Rekordwagen

Mercedes-Benz T 80 Rekordwagen (Teil 1): Die Geschichte hinter dem Rekordwagen
Erstellt am 17. Juli 2018

Der Mercedes-Benz T 80 Rekordwagen entsteht aus einer Idee des Rennfahrers Hans Stuck: Er will den absoluten Geschwindigkeitsrekord für Landfahrzeuge brechen. Den dafür notwendigen Rekordwagen setzt Stuck mit drei maßgeblichen Persönlichkeiten um: Wilhelm Kissel, dem Vorstandsvorsitzenden der Daimler-Benz AG, dem Ingenieur Ferdinand Porsche und dem Luftwaffengeneral Ernst Udet. Jeder einzelne trägt in den 1930er-Jahren dazu bei, das Projekt zu realisieren. Die Geschichte des Mercedes-Benz T 80 ist ein Marathon der Konstrukteure und Aerodynamiker. Das Vorhaben beginnt 1936. Es führt über zahlreiche Entwicklungsstufen und Fahrzeugverfeinerungen zum Ende im Jahr 1940 – ohne dass der T 80 je eingesetzt wird.

Ziel aller Beteiligten ist eine Geschwindigkeit, die zuvor kein Landfahrzeug erreicht hat. Das ist umso herausfordernder, als in diesen Jahren britische Fahrer immer neue Rekorde auf nordamerikanischen Strecken aufstellen: Malcolm Campbell erreicht am 3. September 1935 mit „Blue Bird“ 484,62 km/h über die fliegende Meile. George Eyston knackt am 19. November 1937 mit „Thunderbolt“ die 500-km/h-Marke (502,11 km/h über den fliegenden Kilometer). Und John Cobb legt am 23. August 1939 mit dem „ Railton Special“ eine neue Bestmarke von 595,04 km/h über den fliegenden Kilometer vor. Dementsprechend verschiebt sich die geplante Rekordgeschwindigkeit von 550 km/h zunächst auf 600 km/h und schließlich sogar auf bis zu 650 km/h.

Ein neuer Rekord für die Silberpfeile

Mercedes-Benz würde mit einem Erfolg des Projekts seiner langen Reihe von Geschwindigkeitsrekorden einen weiteren Triumph hinzufügen. Bisheriger Höhepunkt ist der Geschwindigkeitsweltrekord auf öffentlichen Straßen, den Rudolf Caracciola am 28. Januar 1938 aufstellt: Mit dem Mercedes-Benz Rekordwagen W 125 erreicht er 432,7 km/h auf der Autobahn bei Darmstadt. Dennoch wird das Projekt T 80 im Unternehmen auch kritisch gesehen. Das liegt nicht zuletzt an der Person Hans Stuck. Schließlich startet der Rennfahrer in den 1930er-Jahren im Grand-Prix-Sport für die Auto Union. Wie würde daher die Öffentlichkeit reagieren, wenn die erfolgsverwöhnte Stuttgarter Rennabteilung einen Piloten der Konkurrenz für den absoluten Weltrekord verpflichtet? Viele Entscheider im Unternehmen stellen daher die Frage, ob nicht besser erneut Stammpilot Rudolf Caracciola mit dem Rekordversuch betraut werden solle.

Andererseits hat ja auch Stuck eine Verbindung zur Stuttgarter Marke: Auf Mercedes-Benz SSKL fährt er in den Jahren 1931 und 1932 sehr erfolgreich Rennen im Zeichen des Mercedes-Sterns. Er wird 1932 internationaler Alpenmeister und Bergmeister von Brasilien. Vier Jahre später nutzt Stuck nun seine Kontakte nach Untertürkheim aus der damaligen Ära.

Über die Rennabteilung der Auto Union hat Stuck die Verbindung zum Konstrukteur Ferdinand Porsche geknüpft. Denn aus dessen P-Wagen-Konzept gehen die Grand-Prix-Rennwagen der Auto Union der Jahre 1934 bis 1936 hervor. Den Flieger Ernst Udet kennt Stuck sogar seit den 1920er-Jahren. Damals messen sich die beiden unter anderem bei Eisrennen auf dem zugefrorenen Eibsee bei Garmisch-Partenkirchen: Stuck auf Austro Daimler Rennwagen gegen Udet mit dem Flugzeug.

Telegramm nach Stuttgart

Was gibt den Ausschlag für Stucks Streben nach dem absoluten Geschwindigkeitsweltrekord für Landfahrzeuge? Ein Grund ist sichtlich Bernd Rosemeyer, sein Teamkollege bei Auto Union. Nachdem dieser die Grand-Prix-Europameisterschaft 1936 gewinnt, sucht Hans Stuck nach einer neuen Bühne für sein fahrerisches Können. Da bietet sich der Weltrekord an, welcher bis dahin von britischen Fahrern dominiert wird.

Stuck, der Kontakte zur Führung der nationalsozialistischen Regierung pflegt, weiß sich der politischen Unterstützung für das Prestigeprojekt sicher. Allerdings braucht er auch Partner für die technische Umsetzung. Am 14. August 1936 schickt er aus Pescara ein Telegramm an den Daimler-Benz Vorstandsvorsitzenden Wilhelm Kissel und bittet um ein Treffen. Im Gespräch mit Kissel schlägt der Rennfahrer vor, dass Mercedes-Benz den Bau eines Rekordwagens übernimmt, der von einem Daimler-Benz Flugmotor angetrieben wird. Mit Flugzeugtriebwerken sind auch die britischen Rekordwagen dieser Zeit ausgerüstet.

Das Thema Rekordfahrten ist für Mercedes-Benz nicht neu. Schließlich stellt das Stuttgarter Unternehmen in den 1930er-Jahren zahlreiche Rekorde auf. Und die Idee, einen Weltrekordwagen unter Verwendung eines eigenen Flugmotors zu bauen, habe es schon unter Leitung des 1934 verstorbenen Daimler-Benz Vorstandsvorsitzenden Hans Nibel gegeben, erinnert sich Kissel.

Die Konstruktion des Rekordwagens soll Ferdinand Porsche übernehmen. Dieser ist zwar als Chefingenieur von Mercedes-Benz im Jahr 1928 ausgeschieden. Doch Verbindungen des ältesten Automobilherstellers der Welt zum Porsche Konstruktionsbüro (P.K.B.) bestehen weiterhin. Unter anderem baut Mercedes-Benz von 1936 bis 1937 insgesamt 30 Prototypen des KdF-Wagens.

Am 11. März 1937 schließt die Dr. Ing. h.c. F. Porsche GmbH einen Vertrag mit der Daimler-Benz AG über die umfangreiche Mitarbeit auf allen Gebieten des Motoren- und Fahrzeugbaus. Zu den resultierenden Projekten gehören neben dem T 80 (das T steht in der Porsche-Nomenklatur für Typ) auch die Typen T 90, T 93, T 94, T 95, T 97, T 104 und T 108. Außer am Rekordwagen arbeitet Porsche also auch an Rennwagen, Nutzfahrzeugen und im Motorenbau mit.

Mit dem Flugmotor zum Weltrekord

Angetrieben werden soll der T 80 von einem Daimler-Benz Flugmotor. Auf ein solches Aggregat hat der Hersteller aber nicht automatisch Zugriff, denn die alleinige Verfügungsgewalt über sämtliche in Deutschland gebauten Flugmotoren liegt beim Reichsluftfahrtministerium. Daher nutzt Stuck seine Verbindungen zu Ernst Udet. Der Flieger ist mittlerweile zum Chef des Technischen Amtes der Luftwaffe aufgestiegen.

Im September 1936 nimmt Fritz Nallinger zum Projekt Stellung. Zu der Zeit ist er Technischer Direktor von Daimler-Benz und unter dem Entwicklungsvorstand Max Sailer für die Großmotoren zuständig. Nallinger prognostiziert beim Einsatz des zunächst vorgesehenen Flugmotors DB 601 eine auf jeden Fall erreichbare Leistung von 1.103 kW (1.500 PS). Tatsächlich werden in den Jahren 1938 und 1939 mit diesem für Flugrekorde vorbereiteten Triebwerk 2.036 kW (2.770 PS) erreicht.

Im Oktober 1936 teilt Kissel Porsche telefonisch mit, dass das Reichsluftfahrtministerium (RLM) zwei Motoren freigeben will. Er bittet Porsche, die Arbeit an dem Projekt aufzunehmen. Der offizielle Auftrag folgt am 13. Januar 1937. In einem Nachsatz wird darauf hingewiesen, dass der Porsche-Entwurf stets nur als Mercedes-Benz Rekordwagen in Erscheinung tritt.

Die Finanzierung ist zunächst wie folgt geplant: Daimler-Benz wird die Kosten für den Bau des Fahrgestells übernehmen. Die Karosserie soll der Flugzeughersteller Heinkel ausführen und bezahlen. Die Ausrichtung der Rekordfahrt selbst hingegen wird Rennfahrer Stuck finanzieren. Das legt Kissel bereits am 21. Oktober 1936 gegenüber Stuck fest. Im November 1936 schätzt Kissel, dass der T 80 nicht vor Oktober 1937 fertiggestellt werden kann.

Einen entscheidenden Schritt kommt das Projekt im Februar 1937 weiter, als Ernst Udet die offizielle Freigabe für den Einbau des DB 601 Flugmotors in den Rekordwagen erteilt. Wegen des höheren Leistungsbedarfs, der sich im Lauf der Entwicklung abzeichnet, wird diese Freigabe dann später auf den DB 603 V3 erweitert.

Am 6. April stellt Porsche in Untertürkheim die Pläne für den T 80 vor. Sie beschreiben die Entwicklung in mehreren Phasen vom ersten zweimotorigen Entwurf bis zum letzten einmotorigen Konzept. Dieser jüngste Vorschlag zeigt bereits alle Merkmale des später tatsächlich umgesetzten Fahrzeugs: Ein Rekordwagen mit drei Achsen und mittig hängend angeordnetem Flugmotor als Antrieb. Porsche hat berechnet, dass für eine Rekordgeschwindigkeit von 550 km/h nach fünf Kilometern Strecke eine Motorleistung von mindestens 1.618 kW (2.200 PS) nötig sind, besser aber wären 1.838 kW (2.500 PS).

Ursprünglich ist für die Rekordfahrten eine Strecke in den Vereinigten Staaten von Amerika vorgesehen. Mitte 1938 kristallisiert sich aber immer stärker der Plan heraus, für den Versuch einen speziell eingerichteten Autobahnabschnitt zwischen Dessau-Süd und Bitterfeld zu nutzen. Der Generalinspekteur für das deutsche Straßenwesen, Fritz Todt, nennt im August 1938 als vorgesehenen Termin für die Betriebsfreigabe dieser Strecke den Oktober 1938.

Abschließend wird die Frage der Rekordstrecke nie geklärt. Aber noch 1939 ist auch ein Rekordversuch in den Vereinigten Staaten im Gespräch. Dort sind sämtliche Rekorde der letzten Jahre auf den Bonneville Salt Flats erzielt worden. Ein Grund für die erneute Diskussion bei Mercedes-Benz dürften die schwierigen Fahrbedingungen auf dem von Hand betonierten Streifen zwischen den beiden Fahrbahnen der Autobahn sein.

Die Geburt des Weltrekordwagens

Der T 80 nimmt im Lauf des Jahres 1938 immer konkretere Gestalt an. Im Oktober besichtigt Ferdinand Porsche mit Mitarbeitern das hölzerne Modell der Rohkarosserie. Nun werden Blechsorten für die Beplankung der Karosserie definiert und entsprechende Stücklisten aufgestellt, Details von Sitz und Fahrerhaube festgelegt und der Rohrplan für den Gitterrohrrahmen formuliert. Am 26. Oktober 1938 hält die Mercedes-Benz Rennabteilung in einem Prüfbericht fest, dass der erste geschweißte Rahmen 224 Kilogramm wiegt.

Ende November 1938 ist das Fahrgestell samt Rahmen fertig. Die Komplettierung mit sämtlichen Aggregaten plant die verantwortliche Mercedes-Benz Rennabteilung bis Ende Januar 1939. Wenn bis dahin auch der Flugmotor geliefert werde, könne das Fahrgestell bis Ende Februar 1939 montiert werden, heißt es in einer Aktennotiz vom 26. November 1938. Die Karosserie soll dann bis zum Mai 1939 gebaut werden.

Halten die Räder die Rekordgeschwindigkeit aus?

Reifenhersteller Continental erprobt die für den T 80 vorgesehenen Räder auf dem Prüfstand und stellt im Januar 1939 bei einer Schnelllaufprüfung mit 500 km/h eine starke Deformation der Drahtspeichenräder fest, die Hering aus Ronneburg (Thüringen) beisteuert. Im Mai gibt es noch leichte Verformungen bei immerhin 480 km/h. Derweil hat Porsche errechnet, dass für eine Rekordfahrt mit 600 km/h eine Wegstrecke zwischen 13,73 Kilometer (mit 2.023 kW / 2.750 PS) bis 11,48 Kilometer (mit 2.206 kW / 3.000 PS) notwendig ist.

1939 reift der Entschluss, den T 80 mit einem Motor vom Typ DB 603 auszustatten. Dessen Weiterentwicklung als Flugmotor hat das Reichsluftfahrtministerium zwar im März 1937 verboten. Für den Geschwindigkeitsrekord könnte er aber eingesetzt werden, wenn das Ministerium zustimmt. Die Ingenieure gehen davon aus, dass der für eine Leistung von rund 1.471 kW (2.000 PS) ausgelegte 44,5-Liter-V12-Flugmotor bei dem Rekordversuch bis zu 2.206 kW (3.000 PS) bei 3.200/min erreichen kann. Dazu soll der Motor mit einer Mischung der beiden Spezial-Rennkraftstoffe XM und WW betankt werden. Ab Februar 1940 darf das Stuttgarter Unternehmen die Arbeiten am DB 603 als Flugmotor wieder aufnehmen. Der Serienanlauf für den Luftfahrteinsatz beginnt 1941.

Optimierung des DB 603 für den Rekord

Rennleiter Alfred Neubauer notiert 1939, dass ein DB 603 für den Rekordwagen im Juni des Jahres als „Einlaufmotor“ geliefert werden könne. Der eigentliche Rekordmotor stehe dann Ende August 1939 zur Verfügung. Fritz Nallinger, verantwortlich für die Daimler-Benz Flugmotoren, optimiert im Juni 1939 verschiedene Details für den Einbau des Rekordmotors im T 80. Unter anderem verändert er die Führung der Luftansaugleitungen und legt die Auspuffleitungen so aus, dass das Fahrzeug die Rückstoßenergie in Geschwindigkeit umsetzen kann.

Ebenfalls im Sommer 1939 finden Messungen mit einem maßstabsgetreuen Modell des T 80 im Windkanal von Zeppelin in Friedrichshafen statt. Dabei soll der optimale Abtrieb gefunden werden: stark genug, um die ganze Kraft des Motors auf die Straße zu bringen, aber zugleich so gering wie möglich, um die Reifen mit ihren dünnen Laufflächen nicht zu überlasten. Tatsächlich wird die Oberfläche der Abtriebsflossen nach den Messungen noch einmal um 3,65 Quadratmeter verringert.

Die Erprobungen des T 80 werden auch nach dem Beginn des Zweiten Weltkriegs am 1. September 1939 fortgesetzt. So läuft das Fahrgestell des Rekordwagens am 12. Oktober auf dem Rollenprüfstand. Mittlerweile peilt Porsche wegen des neuen Rekords von Cobb mit fast 600 km/h eine Rekordgeschwindigkeit des T 80 von bis zu 650 km/h an. Dazu würde wohl eine Motorleistung von bis zu 2.574 kW (3.500 PS) nötig sein. Selbst diese Leistung erscheint mit dem DB 603 möglich.

Ende des Projekts T 80 im Frühjahr 1940

Weitere Schritte auf dem Weg zum Geschwindigkeitsweltrekord gibt es dann aber nicht mehr. Mercedes-Benz fragt bereits im Februar 1940 beim Reichsverkehrsministerium wegen einer möglichen Beteiligung an den angefallenen Entwicklungs- und Baukosten an. Im Juni 1940 wird ein Abschlussbericht für das Projekt erstellt und der T 80 eingelagert. Der zwischenzeitlich im Fahrzeug eingebaute Rekordmotor DB 603 geht zurück in die Obhut des Reichsluftfahrtministeriums.

Nach dem Zweiten Weltkrieg stellt Mercedes-Benz den T 80 Rekordwagen im Museum des Unternehmens im Werk Untertürkheim aus. Bei der Neugestaltung der Ausstellung im Jahr 1986 werden Karosserie und Fahrgestell voneinander getrennt, das Fahrgestell wird eingelagert. Auch das neue, 2006 eröffnete Mercedes-Benz Museum vor den Toren des Werks Untertürkheim präsentiert den T 80 in der Dauerausstellung mit originaler Karosserie, Gitterrohrrahmen und Rädern – aber ohne Fahrgestell.

Die im Mercedes-Benz Museum ausgestellte Karosserie zeigt den Rekordwagen bewusst mit Spuren des im Jahr 1940 noch nicht ganz vollendeten Projekts. Mercedes-Benz Classic stellt diesem mächtigen Exponat nun das Fahrgestell zusammen mit dem rekonstruierten Gitterrohrrahmen und dem Schnittmotor gegenüber. Als einzigartiges Schaustück macht dieses Exponat die Technik des T 80 ab Mitte 2018 wieder eindrucksvoll erlebbar.

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