Hallo, Taxi! – Die Wanderdüne lebt

Bei der heutigen Hektik lohnt die Überlegung nicht ein altes Taxi zu rufen. Kaufen ist das neue Credo.

Hallo, Taxi! – Die Wanderdüne lebt: Bei der heutigen Hektik lohnt die Überlegung nicht ein altes Taxi zu rufen. Kaufen ist das neue Credo.
Erstellt am 2. Februar 2018

„Wenn ich Benz fahren will, ruf ich mir ein Taxi!“ Der Satz stammt noch aus alten Sponti-Zeiten und war mehr noch Kampfruf als bloß Markenspott. Den Spruch kennt man, Sponti nicht mehr? Kleiner Tipp: Joschka Fischer, grüne Marke, Ex-Sponti und nachmals Realo-Grüner, war auch mal Taxifahrer, zwischendurch Umweltminister und irgendwann Berater für BMW. Die Wahrscheinlichkeit, dass der alte APO- uns spätere RWE-Mann einen damals auch schon hellelfenbeinfarbenen (RAL 1015) Mercedes durch Frankfurt am Main lenkte, ist groß.

50.000 Taxen sind in Deutschland unterwegs. So gut wie jede zweite neuzugelassene Droschke hat den Stern vornedrauf. Legendär die alten Werbefotos „vom Daimler“, die stets eine geschlossene Benz-Formation vor dem Stuttgarter Hauptbahnhof zeigten. Mercedes hat irgendwie schon immer komplette Taxis geliefert, das ist der eine Grund.

Der andere ist natürlich der, dass ein Benz einfach mehr Komfort bot und namentlich die Diesel stets als unkaputtbar galten – kein Wunder, wenn man sie kaum je ausmacht. Legendär ist Gregorios Sachinidis, der in und um Thessaloniki mit seinem 200 D Strichacht (später per Transplantation 240 D) sagenhafte 4,6 Millionen Kilometer fuhr. Das Ex-Taxi steht heute im Werksmuseum. Diese Zeiten scheinen sich jedoch schleichend zu verändern. Auf die Stuttgarter-Vorherrschaft an deutschen Taxiständen kann man sich nur noch bedingt verlassen. Immer häufiger fährt ein anderes Fabrikat vor – nicht selten sogar als Hybrid.

Wer Taxi sagt, meint Mercedes

Vorbei die Zeiten des unverkennbaren Daimler-Nagelns der Vor- und Wirbelkammer Diesel?! Nein! Wer mit Stern auf der Haube in fremder Umgebung sicher ans Ziel navigiert werden will, und dabei nicht in einem Mietwagen oder dem Privatwagen mit integriertem Navigationsgerät sitzt, und auch kein allwissendes Smartphone auf dem Beifahrerplatz einer Mitfahrgelegenheit in der Hand hat, muss etwas tiefer in die Trickkiste greifen. Dazu später mehr.
Fest steht, wer Taxi sagt, meint praktisch Mercedes.
Viele, viele Jahre lang waren das die 124er – Jojo-Jogger Joschka hat das übrigens nicht mehr als Aktiver erlebt, er ging das Thema fossile Brennstoffe schon ab 1982 und dann immer wieder anders an.

Im Zusammenhang mit den 124ern, aber auch mit deren Vorgängern mit Dieselmotoren hat sich das wundervolle Wort Wanderdüne entwickelt. In Zeiten von Kleinwagen mit rührend kleinen Turbodieseln, die Kreise um Autos zu fahren imstande sind, die in den 60ern noch Supersportwagen hießen, mag man es kaum glauben: Der Heizöl-Maserati von einst war ein starker Raucher und kaum schneller als das, was seinerzeit sonst noch Diesel soff: Laster und Trecker. Na, warum heißt der Selbstzünder beim Benz OM, also Ölmotor? Das klingt doch schon so irgendwie zäh.
Von einer veritablen Wanderdüne soll hier die Rede sein. 1991er 200 D, MOPF 1, schlappe 600.000 Kilometer auf der Uhr, lackiert – hört, Ihr Nachgeborenen, das ist keine Folie mit Denken-Sie-an-den-Wiederverkaufswert-Silbermetallic drunter – in selbstverständlich RAL 1015 (Mercedes kann das selbst unter der Nummer 623 plus safaribeigefarbene Saccobretter), Taxischild auf dem Dach (159 Euro bei Taxiteile.de; hier im Preis mit drin) und reichlich Platz für schrecklich eilige vier Leute samt Koffern und Taschen. Na gut, allzu eilig sollte man es vielleicht nicht haben, aber im Stoßverkehr spielt das eh keine Rolle.

75 PS und entspanntes Sitzen - Fertig ist der Cruiser

Wir dürfen annehmen, dass unser Idealtaxi kaum jemals in den durchaus möglichen achtzehneinhalb Sekunden von null auf Hundert (bitte langsam und gründlich lesen, der Benz ist jetzt erst auf fünfzig) durchbeschleunigt worden ist. Das dürfte auch der Grund dafür sein, warum der gute alte 75-PS-Vorkammer-Einspritzer (Ööööööl) immer noch so behaglich vor sich hin nagelt.
Seines natürlichen Habitats, der Innenstadt, beraubt wegen der roten Sünderplakette steht er heuer etwas belämmert da. Andererseits bedarf es mittlerweile eines 400 oder gar eines 500 E, will der 124er-Cowboy gegen dreizylindrige Downsize-Need-for-Speedies anstinken. Da kann man auch gleich gepflegt loscruisen. Und wo ginge das besser als hinter den gut 40 Zentimetern Benz-Steuerruder? Zu bedienen gibt es im neusachlich-supercleanen Taxi-Cockpit eh kaum was, da bleibt die Hand frei für Fluppe oder Stracciatella, und der linke Ellenbogen darf auf dem Sims liegenbleiben – im 124er ist er da, wo er hingehört, und man kann aus dem Auto noch richtig herausgucken.

Ersatzteile - dank großer Stückzahlen - bezahlbar

Das ginge in gut drei Jahren auch wieder auf dem Weg zur Eisdiele oder zum „Cars and Coffee“ um die Ecke. Mit dem H hinter der Nummer verliert die Umweltzone spontan ihren Schrecken, und die Droschke, die sich das wohl nicht hätte träumen lassen, darf wieder überallhin. Vielleicht schick angezogen auf großem Fuß und mit weniger verschwendetem urbanen Raum unter dem Boden. Und am Ende könnte es dann heißen: „Wenn ich so richtig stilecht Benz fahren will, kauf ich mir ein Taxi!“
Vor diesem Hintergrund und mit ein paar Kontakten sowie viel Geduld & Zeit hat sich unser Besitzer auf die Suche gemacht und einen der letzten "tacker-Diesel" vor einem der drei nachfolgenden Szenarien dem Schlachthof, dem Export nach Marokko oder der jüngsten Abwrackprämie gerettet.

Mit dem Wissen um die fallenden Restriktionen der roten Umweltplakette mit dem H-Kennzeichen erleben die Dieselmodelle, die bereits H-tauglich sind bzw. kurz davor- und dem deutschen Markt noch zu Verfügung stehen, gerade eine Renaissance. Ob topmotorisiert als 300TD, als 250D oder (wie hier) als 200D, es gibt Liebhaber und auch die, die sich mit der Technik noch auskennen! Die Ersatzteillage in dieser Baureihe ist gut und auch die Preise sind - nicht zuletzt durch die Stückzahlen - erträglich. Somit bestand für den neuen Besitzer keine Frage, ob der Wagen beim Verkäufer stehen bleibt, oder ob er, trotz eines defekten Getriebes und einigen Schönheitsfehlern sowie einer recht langen Wartezeit bis zum H-Kennzeichen (4 Jahre), eingelagert wird.

Taxi ist nicht gleich Taxi

Kaufen muss übrigens nicht in jedem Fall sein.
Wer kauft, braucht Glück und/oder zwei abgeschlossene Lehren. Kfz-Mechaniker und Karosseriebauer wäre empfehlenswert, da der Zustand der Langläufer selten dem Optimum entspricht.

Wer nicht kauft, aber angemessen und mit Chauffeur alte schöne Sterne bereisen möchte, kann das immer noch in manchen Städten tun. Spezielle Taxi-Apps, aber auch ein Anruf bei der Taxizentrale mit Fahrzeug-Wunschbestellung können im Zweifel helfen. Auf diese Weise wird es den Nostalgikern unter uns ermöglicht ein wenig Flair zu erhalten. Taxi Süd in Recklinghausen hat neben einem W 124 in Langversion auch einen 660 PS starken C63 im Fuhrpark. Frankfurts ältestes Taxi ist ein auf Gasbetrieb umgebauter 300 SE (W 126), und in Köln, in Münster (Tatort-Vaddern hat ja auch einen) sowie in Berlin lassen sich noch 124er ordern. Wer Glück hat, darf in Berlin in einem S-600-Zwölfzylinder (W140), auch bekannt als Berlins dickstes Taxi, in einem W 123 oder auch einem Strichacht Platz nehmen. Berlins ältestes Taxi ist tatsächlich ein W 110 (die kleine Heckflosse). Na dann, Taxi Nr. 4 ist in 5 Minuten hier....

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