Der erste offizielle Werksabholer eines PKWs hieß Ottomar Domnick. Vor 70 Jahren ließ es sich der Facharzt für Psychiatrie und Neurologie nicht nehmen, seinen Porsche 356 mit der mit der Kommissionsnummer 5001 persönlich in Zuffenhausen mitzunehmen. Die Übergabe wurde auf einer Wiese direkt neben dem Werk 1 vorgenommen. Der Rahmen war dem Ereignis angemessen. Es wurde mit Sekt angestoßen – 1950 ein sündhaft teures Getränk und Ferry Porsche war persönlich dabei. „Ottomar Domnick war der erste Werksabholer in Zuffenhausen, er hat seinen Porsche 356 richtig zelebriert und mit uns angestoßen. Aber er kam ohnehin schon jeden Tag zuvor vorbei, um zu schauen, wie weit wir mit der Arbeit sind“, erinnert sich der spätere Porsche-Rennfahrer Herbert Linge, der damals in der Werkstatt arbeitete. Seiner Lenkradkunst war es zu verdanken, dass Domnicks erste Ausfahrt mit dem Porsche nicht in einem Desaster endete. In Zuffenhausen rannte ein Schäferhund ins Auto und hinterließ eine Beule im Kotflügel. Als das demolierte Gefährt wieder auf den Hof rollte, schlug der kaufmännische Geschäftsführer der Porsche Konstruktionen GmbH Albert Prinzing die Hände über dem Kopf zusammen: „Was macht ihr denn Jungs!?“ Domnicks Antwort war eindeutig: „Seien Sie mal froh, dass der Linge gefahren ist! Ich hätte einen Totalschaden fabriziert!“
Heute ist von diesem rudimentären Charme der ersten Werksabholung nicht mehr viel übrig. Auslieferungen direkt an der Fabrik werden nach allen Regeln der Kunst zelebriert und nicht nur der Schlüssel in die Hand gedrückt. Zumal die solvente Porsche-Kundschaft schon etwas Besonderes erwartet, wenn man für sein Auto in der Regel mehr als 100.000 Euro hinblättert. Der rote Backsteinbau – das Werk 1 – ist immer noch zentraler Ort bei der Schlüsselübergabe, allerdings ist aus dem Akt mittlerweile ein Ereignis mit Dreigänge-Menü, Werksführung und eine Runde durch das nahe gelegene Porsche Museum geworden. Der Preis: knapp 1.000 Euro. In Leipzig sind es rund 300 Euro mehr. Allerdings mit dem Passus „inklusive dynamischer Fahreinweisung“, das bedeutet, ein paar Runden auf der werkseigegen Rennstrecke.
Das aktive Bewegen des Schmuckstücks auf vier Rädern im passenden Umfeld wird bei den Werksabholungen immer beliebter: Vor dem Mercedes Werk in Rastatt haben sie sogar einen Off Road Parcours aus dem Boden gestampft. Der schwäbische Autobauer hat seine Kundencenter überall in der Republik, dort wo die Autos auch gefertigt werden. Andere klassische Übergabe-Tempel, zu denen die Sternen-Jünger pilgern, befinden sich in Affalterbach, wo die sportlichen AMG-Modelle gefertigt werden, Bremen oder das Mercedes-Stammwerk in Sindelfingen. Will man ein GLE Coupé in einem der Kundencenter abholen, ruft Mercedes aktuell 392,70 Euro auf.
Das ist im Vergleich noch günstig. In der Regel sind hohe dreistellige Beträge fällig, wenn man ein solches Ereignis bucht. Und jeder Hersteller hat den Geschäftszweig der Werksabholung schon längst für sich entdeckt. Nur wenige Termine sind jeden Tag frei. Den Selbstabholern wird stets das Gefühl der Exklusivität vermittelt, bei der Begrüßung steht ein Mitarbeiter bereit, der den Tag mit den Gästen durchspricht. Bei VW findet das durchgeplante Prozedere in der gläsernen Manufaktur in Dresden oder in der Autostadt, auf Wunsch inklusive Übernachtung im Nobelhotel statt. Das Schauspiel in den beiden 48 Meter hohen Türmen Fahrzeuge in gläserne Garagen die als Hochregal dienen geparkt werden und kleine rollende Drohnen die Nummernschilder hinzutransportieren, ist beeindruckend. Ein Parkvorgang dauert lediglich 44 Sekunden. Rund 500 Neuwagen werden hier täglich an die stolzen Besitzer ausgegeben. Bei Audi kann man wählen: entweder man holt das neue Traummobil am Hauptsitz in Ingolstadt oder in Neckarsulm ab. Neben dem neuen Modell und einer kurzen Einweisung kann man noch einen Abstecher in die Produktion, ins Museum oder die Gastronomie machen.
Bei BMW gibt es mehrere Kategorien, die auch nicht bei jedem Modell gebucht werden können. Zur Auswahl stehen zwei Pakete: „Exclusive“ (1.075 Euro oder „Premium“ (775 Euro). Während bei „Exclusive“ das Vehikel mit vollem Tank auf einen Drehteller in einem abgeschirmten Bereich der BMW Welt auf den stolzen Besitzer wartet, es einen Chauffeurservice und eine Vollbetankung gibt, müssen die Exclusive-Abholer auf das vier Gänge Menü sowie den Chauffeur Service verzichten und bekommen ihr Fahrzeug lediglich teilbetankt. Allerdings kann eine Überführung zum örtlichen Händler mit 600 bis 800 Euro fast genauso teuer sein. Also dann doch lieber die Erlebnis-Variante und am besten noch ein paar Tage Urlaub mit dem neuen Gefährt dranhängen.
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