Mercedes-Benz W110

Her mit der Flosse,‭ ‬Genosse:‭ ‬Mit dem‭ ‬67er Mercedes‭ ‬200‭ D‬ kommt ein Traum ins Rollen

Mercedes-Benz W110: Her mit der Flosse,‭ ‬Genosse:‭ ‬Mit dem‭ ‬67er Mercedes‭ ‬200‭ D‬ kommt ein Traum ins Rollen
Erstellt am 17. November 2017

Was kommt dabei heraus, wenn man einen‭ ‬50‭ ‬Jahre alten Mercedes-Benz‭ ‬200‭ ‬D‭ (‬W110‭) ‬mit einem‭ ‬51jährigen MIB addiert‭? ‬Antwort:‭ ‬100‭ ‬Prozent Liebe zum Stern.‭ ‬Das Besondere an der Rechnung ist übrigens,‭ ‬dass sich das Ergebnis mit den Jahren nie verändert hat und immer gleichgeblieben ist.‭ ‬Unterm Strich kommen immer‭ ‬100-Prozent-Liebe zur Mercedes-Heckflosse heraus‭ ‬-‭ ‬und das ist übrigens schon seit dem Jahr‭ ‬2002‭ ‬so.‭ ‬Seinerzeit übernahm Frank Kramm in dem Mercedes Benz‭ ‬200‭ ‬D mit Baujahr Mai/1967‭ ‬das Steuer.

Frühkindliche Prägung

Frank Kramm ist ein MIB durch und durch.‭ ‬Für den Textilkaufmann sind die Heckflossen von Mercedes-Benz der Stoff,‭ ‬aus dem seine Autoträume gewebt sind.‭ ‬Das kommt für den‭ ‬51-Jährigen übrigens nicht von ungefähr,‭ ‬sondern ist ihm mit seiner Geburt schon in die Wiege gelegt worden.‭ ‬1966 ‬erblickte Frank Kramm das Licht der Welt.‭ ‬Ein Jahr später schaffte sich sein Vater eine Mercedes-Heckflosse an.‭ ‬Frank Kramm hat also einen Teil seiner ersten Lebensjahre in einer W110-Heckflosse verbracht.‭ ‬Das prägt.‭ ‬Der Grundstein für ewige Liebe zum Stern mit Heckflosse war gelegt.‭ ‬Seit dem Jahr‭ ‬2002‭ ‬lässt sich Frank Kramm wieder von einem‭ ‬1967er Mercedes-Benz‭ ‬200‭ ‬D auf seinen Fahrten begleiten.‭

Ende einer Ära

Die große Zeit der Heckflosse waren die‭ ‬50er Jahre.‭ ‬Als Frank Kramms Mercedes-Benz‭ ‬200‭ ‬D vom Band lief,‭ ‬war die Ära der Heckflosse eigentlich schon vorüber.‭ ‬Im Februar‭ ‬1968‭ ‬wurde die Produktion der W110-Baureihe dann ja auch eingestellt.‭ ‬Bei Mercedes-Benz firmierten die markanten Stummelflügel übrigens nicht als Heckflosse,‭ ‬sondern wurden im offiziellen Sprachgebrauch‭ “‬Peilstege‭” ‬genannt,‭ ‬denen als optische Einparkhilfe eine praktische Funktion zugedacht war.

Baureihe W110‭ ‬-‭ ‬1961‭ ‬-‭ ‬1968

Die Fertigung der Mercedes-Benz Baureihe W110‭ ‬lässt sich in zwei Abschnitte unterteilen‭ ‬-‭ ‬in eine erste Serie von‭ ‬1961-1965‭ ‬und eine zweite Serie von‭ ‬1965-1968.‭ ‬Letztere unterscheidet sich vom Vorgänger durch neue Modellbezeichnungen und einige kleinere Stylingänderungen.‭ ‬Auf den ersten Blick sind W110-Mercedes der zweiten Serie durch die Entlüftungsöffnungen an der C-Säule‭ ‬sehr gut‭ ‬zu identifizieren.


Mercedes-Benz Baureihe W110‭ ‬-‭ ‬die kleine Heckflosse

Die Mercedes-Modelle der Baureihe W110‭ ‬werden oftmals auch als‭ „‬kleine Heckflosse‭" ‬bezeichnet.‭ ‬Warum‭? ‬Weil es auch die große Heckflosse W111,‭ ‬die seit‭ ‬1959‭ ‬auf dem Markt war,‭ ‬gab.‭ ‬Mit dieser Oberklasse-Baureihe teilte sich der‭ ‬4.730‭ ‬mm lange W110‭ ‬nämlich die Karosserie‭ (‬Einheitskarosserie‭)‬.‭ ‬Die markantesten Unterschiede zwischen kleiner und großer Heckflosse lagen in der Motorisierung‭ – ‬für W110‭ ‬gab‘s nur Vierzylinder-Aggregate,‭ ‬für W111‭ ‬nur Sechszylinder-Motoren‭ (‬und ab‭ ‬1969‭ ‬auch Achtzylinder‭) ‬-‭ ‬sowie in dem deutlich kürzeren Vorderwagen der W110-Baureihe.‭ ‬Ein Dieselmotor kam nur in der W110-Baureihe zum Einsatz.‭


Ein Mercedes für die Mittelklasse

Warum wurde unterhalb der Baureihe W111‭ ‬eigentlich eine kleinere Variante etabliert‭? ‬Die damalige Unternehmensleitung wollte sich neue Kundenschichten erschließen.‭ ‬Es sollte einen Mittelklasse-Mercedes geben,‭ ‬den sich auch die Mittelschicht leisten können sollte und der dem damaligen Marktführer Opel‭ (‬ja,‭ ‬die Rüsselsheimer waren im oberen Segment mal eine große Hausnummer‭) ‬einen Teil des Absatzkuchens streitig macht.‭ ‬Gegen Rekord A und B sowie Ford‭ ‬17M trat die kleine Heckflosse zu Preisen ab‭ ‬9.950‭ ‬DM an.‭ ‬Zum Vergleich:‭ ‬Der Opel Rekord kostete bei Erscheinen des W110‭ ‬gut‭ ‬7.935‭ ‬DM.‭ ‬Der Ford‭ ‬17‭ ‬M war seinerzeit mit einem Listenpreis von‭ ‬6.845‭ ‬DM veranschlagt.‭ ‬Laut Statistischem Bundesamt betrug im Jahr‭ ‬1961‭ ‬das Durchschnittseinkommen eines deutschen Arbeitnehmers‭ ‬6.723‭ ‬DM.‭ ‬Der Traum vom Mercedes-Fahren war damit zwar kein billiges Vergnügen,‭ ‬aber er war mit der Baureihe W110‭ ‬für viele erschwinglicher geworden.‭ ‬Immerhin brachte es die Baureihe W110‭ ‬von‭ ‬1961-1968‭ ‬auf‭ ‬628.282‭ ‬verkaufte Exemplare.‭ ‬Sie war damit eine erfolgreiche Automobilreihe,‭ ‬wenngleich sie die Vorherrschaft des Opel Rekord seinerzeit‭ (‬noch‭) ‬nicht zu brechen vermochte.‭


Bestandspflege

‭„‬Ich wurde mit dem Daimler-Virus geboren‭“‬,‭ ‬bekennt Frank Kramm,‭ ‬der ja als frisch gewindelter Dreikäsehoch bereits in einem‭ ‬67er W110‭ ‬herumgeschaukelt worden ist.‭ ‬Seine Mercedes-Infektion ist mit einem ausgewiesenen Pflegefimmel gepaart.‭ ‬"Ich liebe diesen Wagen.‭ ‬Er bekommt nur das Beste‭!" ‬Und also wird der‭ ‬1967er Mercedes-Benz‭ ‬200‭ ‬D seit dem Jahr‭ ‬2002‭ ‬mit extremen Eifer und enormen Einsatz und peinlicher Pingeligkeit‭ ‬umhegt.‭ ‬Nix da‭ „‬Adieu le bleu‭“‬.‭ ‬Der sehr sorgsam und kundig restaurierte hellblaue Benz strahlt für einen‭ ‬50‭ ‬Jahre alten Wagen eine beneidenswerte Jugendlichkeit aus.‭ ‬Auch auf den zweiten Blick bleibt die Suche nach einer größeren substantiellen Beeinträchtigung ohne Befund.‭ ‬Dabei ist der Benz nicht nur zum Angucken da.‭ ‬Er wird für Ausfahrten und größere Touren vom Ehepaar Kramm fleißig genutzt.‭


Komfort und Gemütlichkeit‭ ‬auf Rädern:‭ ‬Mercedes-Benz‭ ‬200‭ ‬D‭ (‬W110‭)

Wer in einem Mercedes-Benz der Baureihe W110‭ ‬Platz nimmt,‭ ‬befindet sich in einem Ort des Wohlbehagens.‭ ‬Großzügigkeit,‭ ‬Komfort und Gemütlichkeit strahlt der W110‭ ‬aus.‭ ‬Die Sofa ähnliche Bestuhlung,‭ ‬ein komfortables Fahrwerk und ein Volant,‭ ‬so groß wie das Rad einer Postkutsche,‭ ‬lassen‭ ‬keine Hektik aufkommen.‭ ‬Im Mercedes-Benz‭ ‬200‭ ‬D von Frank Kramm wird das manuelle Vierganggetriebe per Lenkradschaltung kommandiert.‭ ‬Sehr speziell schaut der senkrechte Walzentachometer aus.‭ ‬Die Geschwindigkeit wird bis‭ ‬50‭ ‬km/h in Gelb,‭ ‬bis‭ ‬75‭ ‬km/h in Gelb/Rot und darüber in Rot angezeigt.‭ ‬Darüber hinaus findet sich im Dieselmodell rechts neben dem Lenkrad ein Zugschalter zum Vorglühen,‭ ‬Anlassen und Abstellen. Links vom Volant sind ein Glühüberwacher und ein Drehknopf,‭ ‬der dazu dient,‭ ‬die Leerlaufdrehzahl zu erhöhen, installiert.‭

Es darf gedieselt werden

Frank Kramm findet an seinem Mercedes-Benz‭ ‬200‭ ‬D nicht nur Form und Feeling einmalig,‭ ‬sondern auch die eingebauten Vorzüge wie Fahrkomfort und Solidität im Allgemeinen sowie Unverwüstlichkeit und Laufruhe des Dieselaggregats‭ (‬ab‭ ‬1965‭ ‬mit fünffach statt bisher dreifach gelagerter Kurbelwelle‭) ‬im Besonderen.‭ ‬Dass Kunden seinerzeit ihre kleine Heckflosse öfter mit Diesel-‭ ‬als mit Benzinmotor wählten,‭ ‬lag an einem geringeren Verbrauch,‭ ‬einer in Aussicht gestellten Langlebigkeit‭ (‬beides ließ Taxifahrer jubeln‭) ‬und‭ ‬-‭ ‬wie böse Zungen behaupten‭ ‬-‭ ‬der damaligen Möglichkeit,‭ ‬in einem gesetzwidrigen Akt‭ ‬den Autotank mit billigem,‭ ‬steuerbegünstigtem Heizöl zu befüllen.‭ ‬Fakt ist:‭ ‬Aus chemischer Sicht gab es bis zur Mitte der‭ ‬1990er Jahre keinen wesentlichen Unterschied zwischen Diesel und Heizöl.‭ ‬Das mochte der ein oder andere zum Ärger des Finanzamtes ausgenutzt haben.‭ ‬An den Rauchzeichen konnte man seinerzeit jedenfalls nicht erkennen,‭ ‬was dem Fahrzeug als Antriebsstoff diente.‭ ‬Damals durfte nämlich noch weitgehend hemmungslos aus dem Auspuffrohr gequalmt und gerußt werden.‭ ‬Das war sozusagen eine kollaterale Erscheinung des Diesels der damaligen Zeit und eine Besonderheit von Mercedes-Benz.‭ ‬Zwischen‭ ‬1955‭ ‬und‭ ‬1971‭ ‬war Mercedes-Benz nämlich der einzige Hersteller in Deutschland,‭ ‬der Personenwagen mit Dieselmotor produzierte.


Flott or not‭?

55‭ ‬PS leistet der‭ ‬2-Liter-Diesel-Vierzylinder im Mercedes-Benz‭ ‬200‭ ‬D.‭ ‬Diese Kraft reicht,‭ ‬um Frank Kramms‭ ‬nur‭ ‬1,4‭ ‬Tonnen schweren Mercedes auf‭ ‬130‭ ‬km/h Höchstgeschwindigkeit zu bringen.‭ ‬Allerdings benötigt er dafür etwas Anlauf.‭ ‬Um aus dem Stand von‭ ‬0-100‭ ‬km/h zu beschleunigen,‭ ‬braucht es‭ ‬28‭ ‬Sekunden.‭ ‬Das klingt aus heutiger Sicht‭ ‬sehr‭ ‬gemächlich.‭ ‬War aber für damalige Verhältnisse gar nicht mal so unflott.‭ ‬Talent zum Fluchtwagen besitzt der Mercedes-Benz‭ ‬200‭ ‬D freilich keines,‭ ‬wie zum Abschluss unserer Story eine kleine Anekdote aus Frank Kramms Fahrerleben verdeutlicht:‭ „‬Meine Frau und ich kamen‭ ‬vor einigen Jahren mit unserem Mercedes-Benz‭ ‬200‭ ‬D aus einem Südtirolurlaub zurück und wurden wegen einer Straßensperrung über die Schweiz umgeleitet.‭ ‬ Wir fuhren über eine kleine Passstraße und ich bedachte nicht,‭ ‬dass die Schweiz noch Grenzkontrollen durchführt.‭ ‬Und also dampfte ich mit meinem‭ ‬55‭ ‬PS Diesel an dem kleinen Grenzerhäuschen vorbei,‭ ‬welches mir übrigens einsam und verlassen vorkam.‭ ‬Kaum aber hatte ich diesen Punkt passiert,‭ ‬ertönte mit gellendem Pfiff die Pfeife eines schweizerischen Grenzbeamten.‭ ‬Ich stieg in die Bremsen und setzte zurück gen Grenzhäuschen.‭ ‬Der Schweizer Beamte war mächtig‭ ‬aufgebracht.‭ ‬Er beschuldigte mich des unberechtigten Grenzübertritts und eines Fluchtversuches und ließ mich mal gleich den‭ ‬640-Liter-Kofferaum ausräumen.‭ ‬Er kontrollierte alles.‭ ‬Ich wollte die Situation etwas entspannen und witzelte über den Wagen,‭ ‬dass man mit einem‭ ‬55-PS-Diesel ja wohl nur schlecht die Flucht antreten könnte‭; ‬da würde mich ja jeder Verfolger mit dem Fahrrad an der nächsten Ecke einholen.‭ ‬Humor war in dieser Situation kein guter Helfer.‭ ‬Der Beamte nahm die Situation leider nicht mit einem Lächeln,‭ ‬sondern suchte in dem kleinen Grenzhäuschen in seinem Paragraphenbuch nach der passenden Bestrafung für meine bitterböse Verfehlung.‭ ‬Eine Stunde später kam er zur Einsicht,‭ ‬dass wir keine Kriminellen sind und ließ uns endlich weiterfahren.‭”


Text & Fotos: Mathias Ebeling

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1 Kommentar

  • egide aus belgien

    Egide aus belgien

    Eine Heckflosse 200D war damals auch meine erste Mercedes-Benz, Super-Auto!

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