Was kommt dabei heraus, wenn man einen 50 Jahre alten Mercedes-Benz 200 D (W110) mit einem 51jährigen MIB addiert? Antwort: 100 Prozent Liebe zum Stern. Das Besondere an der Rechnung ist übrigens, dass sich das Ergebnis mit den Jahren nie verändert hat und immer gleichgeblieben ist. Unterm Strich kommen immer 100-Prozent-Liebe zur Mercedes-Heckflosse heraus - und das ist übrigens schon seit dem Jahr 2002 so. Seinerzeit übernahm Frank Kramm in dem Mercedes Benz 200 D mit Baujahr Mai/1967 das Steuer.
Frühkindliche Prägung
Frank Kramm ist ein MIB durch und durch. Für den Textilkaufmann sind die Heckflossen von Mercedes-Benz der Stoff, aus dem seine Autoträume gewebt sind. Das kommt für den 51-Jährigen übrigens nicht von ungefähr, sondern ist ihm mit seiner Geburt schon in die Wiege gelegt worden. 1966 erblickte Frank Kramm das Licht der Welt. Ein Jahr später schaffte sich sein Vater eine Mercedes-Heckflosse an. Frank Kramm hat also einen Teil seiner ersten Lebensjahre in einer W110-Heckflosse verbracht. Das prägt. Der Grundstein für ewige Liebe zum Stern mit Heckflosse war gelegt. Seit dem Jahr 2002 lässt sich Frank Kramm wieder von einem 1967er Mercedes-Benz 200 D auf seinen Fahrten begleiten.
Ende einer Ära
Die große Zeit der Heckflosse waren die 50er Jahre. Als Frank Kramms Mercedes-Benz 200 D vom Band lief, war die Ära der Heckflosse eigentlich schon vorüber. Im Februar 1968 wurde die Produktion der W110-Baureihe dann ja auch eingestellt. Bei Mercedes-Benz firmierten die markanten Stummelflügel übrigens nicht als Heckflosse, sondern wurden im offiziellen Sprachgebrauch “Peilstege” genannt, denen als optische Einparkhilfe eine praktische Funktion zugedacht war.
Baureihe W110 - 1961 - 1968
Die Fertigung der Mercedes-Benz Baureihe W110 lässt sich in zwei Abschnitte unterteilen - in eine erste Serie von 1961-1965 und eine zweite Serie von 1965-1968. Letztere unterscheidet sich vom Vorgänger durch neue Modellbezeichnungen und einige kleinere Stylingänderungen. Auf den ersten Blick sind W110-Mercedes der zweiten Serie durch die Entlüftungsöffnungen an der C-Säule sehr gut zu identifizieren.
Mercedes-Benz Baureihe W110 - die kleine Heckflosse
Die Mercedes-Modelle der Baureihe W110 werden oftmals auch als „kleine Heckflosse" bezeichnet. Warum? Weil es auch die große Heckflosse W111, die seit 1959 auf dem Markt war, gab. Mit dieser Oberklasse-Baureihe teilte sich der 4.730 mm lange W110 nämlich die Karosserie (Einheitskarosserie). Die markantesten Unterschiede zwischen kleiner und großer Heckflosse lagen in der Motorisierung – für W110 gab‘s nur Vierzylinder-Aggregate, für W111 nur Sechszylinder-Motoren (und ab 1969 auch Achtzylinder) - sowie in dem deutlich kürzeren Vorderwagen der W110-Baureihe. Ein Dieselmotor kam nur in der W110-Baureihe zum Einsatz.
Ein Mercedes für die Mittelklasse
Warum wurde unterhalb der Baureihe W111 eigentlich eine kleinere Variante etabliert? Die damalige Unternehmensleitung wollte sich neue Kundenschichten erschließen. Es sollte einen Mittelklasse-Mercedes geben, den sich auch die Mittelschicht leisten können sollte und der dem damaligen Marktführer Opel (ja, die Rüsselsheimer waren im oberen Segment mal eine große Hausnummer) einen Teil des Absatzkuchens streitig macht. Gegen Rekord A und B sowie Ford 17M trat die kleine Heckflosse zu Preisen ab 9.950 DM an. Zum Vergleich: Der Opel Rekord kostete bei Erscheinen des W110 gut 7.935 DM. Der Ford 17 M war seinerzeit mit einem Listenpreis von 6.845 DM veranschlagt. Laut Statistischem Bundesamt betrug im Jahr 1961 das Durchschnittseinkommen eines deutschen Arbeitnehmers 6.723 DM. Der Traum vom Mercedes-Fahren war damit zwar kein billiges Vergnügen, aber er war mit der Baureihe W110 für viele erschwinglicher geworden. Immerhin brachte es die Baureihe W110 von 1961-1968 auf 628.282 verkaufte Exemplare. Sie war damit eine erfolgreiche Automobilreihe, wenngleich sie die Vorherrschaft des Opel Rekord seinerzeit (noch) nicht zu brechen vermochte.
Bestandspflege
„Ich wurde mit dem Daimler-Virus geboren“, bekennt Frank Kramm, der ja als frisch gewindelter Dreikäsehoch bereits in einem 67er W110 herumgeschaukelt worden ist. Seine Mercedes-Infektion ist mit einem ausgewiesenen Pflegefimmel gepaart. "Ich liebe diesen Wagen. Er bekommt nur das Beste!" Und also wird der 1967er Mercedes-Benz 200 D seit dem Jahr 2002 mit extremen Eifer und enormen Einsatz und peinlicher Pingeligkeit umhegt. Nix da „Adieu le bleu“. Der sehr sorgsam und kundig restaurierte hellblaue Benz strahlt für einen 50 Jahre alten Wagen eine beneidenswerte Jugendlichkeit aus. Auch auf den zweiten Blick bleibt die Suche nach einer größeren substantiellen Beeinträchtigung ohne Befund. Dabei ist der Benz nicht nur zum Angucken da. Er wird für Ausfahrten und größere Touren vom Ehepaar Kramm fleißig genutzt.
Komfort und Gemütlichkeit auf Rädern: Mercedes-Benz 200 D (W110)
Wer in einem Mercedes-Benz der Baureihe W110 Platz nimmt, befindet sich in einem Ort des Wohlbehagens. Großzügigkeit, Komfort und Gemütlichkeit strahlt der W110 aus. Die Sofa ähnliche Bestuhlung, ein komfortables Fahrwerk und ein Volant, so groß wie das Rad einer Postkutsche, lassen keine Hektik aufkommen. Im Mercedes-Benz 200 D von Frank Kramm wird das manuelle Vierganggetriebe per Lenkradschaltung kommandiert. Sehr speziell schaut der senkrechte Walzentachometer aus. Die Geschwindigkeit wird bis 50 km/h in Gelb, bis 75 km/h in Gelb/Rot und darüber in Rot angezeigt. Darüber hinaus findet sich im Dieselmodell rechts neben dem Lenkrad ein Zugschalter zum Vorglühen, Anlassen und Abstellen. Links vom Volant sind ein Glühüberwacher und ein Drehknopf, der dazu dient, die Leerlaufdrehzahl zu erhöhen, installiert.
Es darf gedieselt werden
Frank Kramm findet an seinem Mercedes-Benz 200 D nicht nur Form und Feeling einmalig, sondern auch die eingebauten Vorzüge wie Fahrkomfort und Solidität im Allgemeinen sowie Unverwüstlichkeit und Laufruhe des Dieselaggregats (ab 1965 mit fünffach statt bisher dreifach gelagerter Kurbelwelle) im Besonderen. Dass Kunden seinerzeit ihre kleine Heckflosse öfter mit Diesel- als mit Benzinmotor wählten, lag an einem geringeren Verbrauch, einer in Aussicht gestellten Langlebigkeit (beides ließ Taxifahrer jubeln) und - wie böse Zungen behaupten - der damaligen Möglichkeit, in einem gesetzwidrigen Akt den Autotank mit billigem, steuerbegünstigtem Heizöl zu befüllen. Fakt ist: Aus chemischer Sicht gab es bis zur Mitte der 1990er Jahre keinen wesentlichen Unterschied zwischen Diesel und Heizöl. Das mochte der ein oder andere zum Ärger des Finanzamtes ausgenutzt haben. An den Rauchzeichen konnte man seinerzeit jedenfalls nicht erkennen, was dem Fahrzeug als Antriebsstoff diente. Damals durfte nämlich noch weitgehend hemmungslos aus dem Auspuffrohr gequalmt und gerußt werden. Das war sozusagen eine kollaterale Erscheinung des Diesels der damaligen Zeit und eine Besonderheit von Mercedes-Benz. Zwischen 1955 und 1971 war Mercedes-Benz nämlich der einzige Hersteller in Deutschland, der Personenwagen mit Dieselmotor produzierte.
Flott or not?
55 PS leistet der 2-Liter-Diesel-Vierzylinder im Mercedes-Benz 200 D. Diese Kraft reicht, um Frank Kramms nur 1,4 Tonnen schweren Mercedes auf 130 km/h Höchstgeschwindigkeit zu bringen. Allerdings benötigt er dafür etwas Anlauf. Um aus dem Stand von 0-100 km/h zu beschleunigen, braucht es 28 Sekunden. Das klingt aus heutiger Sicht sehr gemächlich. War aber für damalige Verhältnisse gar nicht mal so unflott. Talent zum Fluchtwagen besitzt der Mercedes-Benz 200 D freilich keines, wie zum Abschluss unserer Story eine kleine Anekdote aus Frank Kramms Fahrerleben verdeutlicht: „Meine Frau und ich kamen vor einigen Jahren mit unserem Mercedes-Benz 200 D aus einem Südtirolurlaub zurück und wurden wegen einer Straßensperrung über die Schweiz umgeleitet. Wir fuhren über eine kleine Passstraße und ich bedachte nicht, dass die Schweiz noch Grenzkontrollen durchführt. Und also dampfte ich mit meinem 55 PS Diesel an dem kleinen Grenzerhäuschen vorbei, welches mir übrigens einsam und verlassen vorkam. Kaum aber hatte ich diesen Punkt passiert, ertönte mit gellendem Pfiff die Pfeife eines schweizerischen Grenzbeamten. Ich stieg in die Bremsen und setzte zurück gen Grenzhäuschen. Der Schweizer Beamte war mächtig aufgebracht. Er beschuldigte mich des unberechtigten Grenzübertritts und eines Fluchtversuches und ließ mich mal gleich den 640-Liter-Kofferaum ausräumen. Er kontrollierte alles. Ich wollte die Situation etwas entspannen und witzelte über den Wagen, dass man mit einem 55-PS-Diesel ja wohl nur schlecht die Flucht antreten könnte; da würde mich ja jeder Verfolger mit dem Fahrrad an der nächsten Ecke einholen. Humor war in dieser Situation kein guter Helfer. Der Beamte nahm die Situation leider nicht mit einem Lächeln, sondern suchte in dem kleinen Grenzhäuschen in seinem Paragraphenbuch nach der passenden Bestrafung für meine bitterböse Verfehlung. Eine Stunde später kam er zur Einsicht, dass wir keine Kriminellen sind und ließ uns endlich weiterfahren.”
Text & Fotos: Mathias Ebeling
1 Kommentar
Egide aus belgien
19. November 2017 20:22 (vor über 7 Jahren)
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