Der Mercedes-Benz 300 SL Flügeltürer der 1950er Jahre ist einer der beliebtesten Sportwagen aller Zeiten. Das legendäre Design von Karl Wilfert umfasst drei verschiedene Fahrzeuge: Den Rennwagen 300 SL Coupe von 1952 (W194), den Rennwagen SLR (W196) ein paar Jahre später und den 300 SL Serienwagen (W198). Rund 1.400 Modelle des W198 Flügeltürers wurden in den ersten drei Jahren von 1954 bis '57. Diese kamen mit einer Stahlkarosse mit Aluminiumtüren und Hauben – 29 Modelle waren komplett aus Alu gefertigt und sind heute ein Vermögen wert.
Der hier gezeigte Flügeltürer ist einer der vier Rennwagen, die von der Sportabteilung im Werk Untertürkheim erstellt wurden. Durch Nachforschungen im Archiv des Mercedes-Benz Classic Center, durch Anthony Pritchard’s „Definitive Book Gullwing“ (Palawan Press), über Marken-Experten wie Hans Hurlimann, und Besitzer-Register wie die Gullwing Group konnte herausgefunden werden, dass dieses Modell sogar das erste der vier W198er Flügeltürer mit Stahlkarosse ist, die von der Sportabteilung für die Entwicklung und den Wettbewerb aufgebaut wurden.
Einige der Flügeltürer wurden in dieser Zeit für Rennen genutzt, die meisten waren jedoch in Besitz von Privat-Leuten und Kunden in Europa und USA. Mercedes-Benz selbst nahm mit einigen an den bekannten Events wie Mille Miglia, Targa Florio mit Werksteams teil, mit welchen Fahrzeugen genau ist leider nicht überliefert. Oft wurden diese Flügeltürer an Kunden weiterverkauft. Um die W198 Plattform für Rennen zu nutzen, entschieden sich seinerzeit Mercedes-Benz Motorsport Chef Rudolf Uhlenhaut und Manager Alfred Neubauer gegen die leichtere Alu-Karosse, die sich nach längeren Einsätzen verformte. Stattdessen setzten die beiden auf den Stahl-Gullwing.
Der originalen Datenkarte zur Folge wurde das Fahrzeug mit der Fahrgestellnummer 5500640 an die Sportabteilung in Untertürkheim ausgeliefert, wo es mit zahlreichen Rennwagen-Features ausgestattet wurde. Die Upgrades beinhalteten einen speziellen NSL-Motor mit überarbeiteter Nockenwelle und mechanischer Bosch-Einspritzanlage – der gut für 240 PS war. Dazu gab es Rudge Knock-Off Räder, Renn-Auspuff, größeren Öl-Tank und ein einstellbares Fahrwerk sowie eine auf 3,48:1 geänderte Hinterachsübersetzung.
Ausgeliefert an die Sportabteilung Untertürkheim
Die Datenkarte verrät ebenfalls, dass das Fahrzeug am 17. August 1955 fertig gestellt und am 27. August an die Sportabteilung ausgeliefert wurde, so dass dieses Modell der allererste Werksrennwagen ist, der zudem mit 13 Monaten die längste Zeit bei den Untertürkheimern verblieb. In dieser Zeit wurde der Gullwing für Trainings und Wettbewerbe genutzt, darunter auch von legendären Rennfahrern wie Juan Manuel Fangio, Stirling Moss, Karl Kling, John Fitch und Hans Hermann. Doch es ist bis heute unklar, an welchen Rennen welches Fahrzeug teilnommen hat.
Die Sportabteilung verkaufte schließlich den 300 SL an den bekannten Pariser Rugby-Spieler, Motorrad-Rennfahrer George Houel und Tour-De-France Auto-Fan. Der Franzose erhielt seinerzeit den Tipp, dass der Wagen zu verkaufen sei, von Stirling Moss. Houel überzeugte seinen Hans Hommel, den Wagen zu kaufen und für die nächste Tour de France zu nutzen. So wurde am 14. September 1956 der Flügeltürer mit der Chassis-Nr 5500640 wurde vom Werk an Bernard Hans Hommel verkauft und sogleich von Houel nach Paris gefahren um dann drei Tage später am 17. September – zusammen mit Stirling Moss und der Startnummer #149 - am Rennen teilzunehmen.
Stirling Moss fuhr auf der Tour de France Auto mit dem 300 SL Flügeltürer
Der Houel-Moss Flügeltürer kämpfte mit mechanischen Problemen wie einer fehlerhaften Zündung, was zu schwindender Leistung führte. Schließlich konnte Moss aber Zeit gutmachen und holte im 300 SL den zweiten Platz in der Gesamtwertung. George Houel nahm mit dem Sportabteilung Gullwing an mehreren Rennen teil und erlangte u.a. den dritten Platz beim 1956 Coupes du Salon und Platz 5 bei der „Rallye d’Automne“ und “10,000 Corners” Tour de Corse. Teilnahmen in 1957 an den „12 Stunden von Reims“, „6 Stunden von Saint-Cloud“, „Andorra-Monaco Rally“ und der „Sestriere Rally“ in Italien waren weniger erfolgreich.
Ende der 1950er Jahre wurde der einzigartige Flügeltürer von einem gewissen Mr. Besnies gekauft, 1966 ging der 300 SL über den französischen Autohändler Mercedes Archambeaud an den Vater des aktuellen Besitzers, einem langjährigen Flügeltürer-Fan, der sich schon 1955 als kleiner Junge auf dem Pariser Auto-Salon in den Flügeltürer verguckte.
Restaurierung nach 40 Jahren Dornröschen-Schlaf
Nach einem Jahr gönnte der Besitzer dem 300 SL ein wenig Detailarbeit. Zu diesem Zeitpunkt wusste der Besitzer nichts von der besonderen Geschichte seines Flügeltürers – bis er eine Unterschrift entdeckte: “1956, Frances, Britain, Moss.” Auf Grund fehlender Zeit wurden die Reparaturen nie vollendet und so verbrachte der 300 SL in den nächsten 40 Jahren eine Art Dornröschen-Schlaf – bis 2008, als nach dem Tod des Vaters der Sohn sich dem 300 SL annahm und den Wagen durch eine aufwändige Restaurierung in den heutigen Zustand versetzte.
Heute, am 10. Dezember 2015, wird dieses äußerst seltene Fahrzeug bei der RM Sotheby's Auction in New York (USA) versteigert. Welchen Erlös dieser Flügeltürer einspielt, erfahren Sie demnächst hier auf Mercedes-Fans.de
Text: Thomas Frankenstein
Fotos: Remi Dargegen / RM Sotheby's
Mercedes-Fans Facts
1955 Mercedes-Benz 300 SL 'Sportabteilung' Gullwing (W198)
Antrieb: SOHC Reihensechszylinder, 2996 ccm, 240 PS, Bosch Einspritzanlage, Viergang-Schaltgetriebe, Hinterradantrieb
Fahrwerk: Vorne Einzelradaufhängung mit Doppel-Querlenker, Schraubenfedern, Drehstab-Stabilisator, hydraulische Teleskop-Stoßdämpfer, Trommelbremsen; Hinten Pendel-Schwingachse, Schraubenfedern, hydraulische Teleskop-Stoßdämpfer, Trommelbremsen
Räder: Stahlfelgen, 5 K x 15“ mit 6,50-15 Supersport Reifen
Sonstiges: Der 1. von 4 Werksrennwagen, von denen nur noch 2 bekannt sind
32 Bilder Fotostrecke | Einer von vier Exemplaren: 1955 Mercedes-Benz 300 SL 'Sportabteilung' Gullwing
2 Kommentare
Egide aus belgien
10. Dezember 2015 15:38 (vor über 8 Jahren)
Veteranenclub
10. Dezember 2015 13:02 (vor über 8 Jahren)
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